Herr Galetti, nach den üblen Beleidigungen gegen den jüdischen Autor Alain Finkielkraut in Paris drängt sich die Frage auf, wie antisemitisch sind die Gelbwesten?
NINO GALETTI: Von Anbeginn der Proteste am 17. November 2018 gab es Hinweise auf rassistische, homophobe und antisemitische Übergriffe der Gelbwesten-Bewegung. An den Demonstrationen beteiligen sich auch Rechtsextremisten und Linksautonome. Beide Gruppen sind dafür bekannt, dass unter ihnen auch antisemitische Tendenzen vorhanden sind und toleriert werden.
Was heißt das jetzt genau?
GALETTI: Das heißt nicht, dass alle Gelbwesten Antisemiten sind. Durch den mangelnden Grad an Organisation und Struktur der Gelbwesten - bislang hat sich immer noch kein Sprecher der Bewegung klar herausgebildet - werden antisemitische Tatbestände nicht eindeutig verurteilt und innerhalb der Bewegung isoliert.
War der Angriff gegen Finkielkraut ein Einzelfall oder steckt mehr dahinter?
GALETTI: Die Tatsache, dass der bekannte französische Philosoph und Publizist Finkielkraut am vergangenen Samstag in Paris auf offener Straße mit antisemitischen Sprüchen beleidigt und angepöbelt worden ist, stellt eine neue Qualität dar. Grundsätzlich verzeichnet Frankreich einen Anstieg des Antisemitismus: Im Jahr 2018 ist nach Angaben des französischen Innenministeriums die Anzahl der antisemitischen Straftaten um 74 Prozent gestiegen. Juden fühlen sich vielfach nicht mehr sicher. Seit 2006 sind 14 Franzosen allein aufgrund der Tatsache, dass sie Juden sind, ermordet worden. Da die Täter in allen Fällen Muslime waren, spricht man in Frankreich von einem muslimischen Antisemitismus.
Aus welcher „Ecke“ der Gelbwesten kam der Übergriff?
GALETTI: Unter den Gelbwesten-Trägern, die Finkielkraut angepöbelt haben, war auch ein polizeibekannter Salafist. Das ist ungewöhnlich: Bei den Gelbwesten stellen Franzosen, deren Vorfahren aus Afrika oder dem Nahen Osten kommen, nur eine kleine Minderheit dar. Die Gelbwesten-Bewegung erfährt derzeit eine Radikalisierung: Die letzten Glebwesten-Proteste mit rund 40.000 Teilnehmern frankreichweit haben aber einen neuen Tiefstand erreicht. Problematisch ist, dass die gemäßigten Demonstranten zunehmend zu Hause bleiben und nurmehr die Randalierer auf die Straße gehen - unter ihnen die gewaltbereiten Gelbwesten. mei