Kur- und Heilbäder: Die unterschätzte Tourismussparte

Wie ist es um die Kur- und Heilbäder bestellt? Almut Boller, Geschäftsführerin des Hessischen Heilbäderverbandes, im Gespräch über den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Faktor dieser unterschätzten Tourismussparte.

 

Frau Boller, ihr Verband hat kürzlich Bilanz gezogen. Wie ist das vergangene Jahr für die hessischen Heilbäder verlaufen? 

 

ALMUT BOLLER: Wenn es um die Übernachtungszahlen in Hessen geht, sind die Heilbäder und Kurorte mit 9,8 oder auch mal 10 Millionen Übernachtungen ein stabiler Faktor. Im vergangenen Jahr durften wir über 2,7 Millionen Ankünfte verzeichnen und 9,84 Millionen Übernachtungen zählen. Das sind rund 28 Prozent Anteil an den gesamthessischen Übernachtungen und erneut ein hervorragendes Ergebnis. Zugleich ist es für die 30 Heilbäder und Kurorte mehr als ein Ansporn, sich auch zukünftig gemeinschaftlich weiterzuentwickeln und den neuen Weg konsequent zu gehen. 

 

Gibt es Heilbäder, die sich besonders gut entwickelt haben? 

 

BOLLER: Die Heilbäder und Kurorte sind gerade im ländlichen Raum unverzichtbar. Sie sind Versorgungszentren, sichern die medizinische Grundversorgung und sorgen auch mit ihrer Infrastruktur dafür, dass sich dort Fachkräfte ansiedeln. So finden sich vom ländlichen Raum bis hin zu den Wirtschaftsregionen vielgestaltige Heilbäder, die sich unterschiedlich entwickeln. Insgesamt sind die Übernachtungszahlen in den vergangenen zehn Jahren in den Heilbädern und Kurorten um 500.000 gestiegen. Überdurchschnittliche Wachstumszahlen weisen Bad Nauheim, Bad Orb und Willingen in Nordhessen auf.

 

Was haben diese Heilbäder richtig gemacht?

 

BOLLER: Zu der positiven Entwicklung dieser Heilbäder trägt zum einen die hohe medizinische Verantwortung bei und zum anderen die konsequente Ausrichtung auf „Kur & Tourismus“. Genau an dieser Stelle ist es wichtig, einmal in die Vergangenheit zu blicken und zu schauen, wo die Kernkompetenzen liegen, um daraus neue Konzepte zu entwickeln. Deshalb können Sie beispielsweise in sanftem Solewasser schweben und gleichzeitig Musik hören oder auf eine Achtsamkeitswanderung gehen oder bald auf der längsten Hängebrücke der Welt im tibetischen Stil spazieren. So lösen Sie sich bewusst aus dem Alltag und besinnen sich wieder auf sich selbst. 

 

Wie hoch sind die Erlöse der Heilbäder-Branche? Gibt es hier „Umsatzriesen“?

 

BOLLER: Wie kein anderer Wirtschaftszweig wirken sich „Kur & Tourismus“ auf andere Branchen aus und vervielfachen die positiven Effekte. Wenn Sie heute auf Reisen gehen, begegnen Ihnen viele Menschen. Ob Bäcker, Hotelier oder Taxifahrer, sie alle sind Teil des Kur- und Erholungsaufenthaltes. Insgesamt entsteht in den Heilbädern und Kurorten in Hessen jährlich ein Bruttoumsatz von über 2,2 Milliarden Euro. Zu den „Umsatzriesen“ gehören zum Beispiel Bad Wildungen, Wiesbaden oder auch Bad Homburg.

 

... und wie es bei den Arbeitsplätzen aus?

 

BOLLER: Das ist für die interessanteste „Zahl“, denn weit über 40.000 Menschen finden in den Gesundheitszentrum im Bereich „Kur & Tourismus“ eine Beschäftigung. 

 

Was für ein Angebotsspektrum decken die Heilbäder ab?

 

BOLLER: 90 Prozent der stationären Vorsorge- und Rehabilitationskapazitäten in Hessen finden sich in den Heilbädern und Kurorten. Damit stehen die Gesundheitszentren nach wie vor für eine hohe medizinische Kompetenz. Diese Behandlungen werden durch Versicherungsträger finanziert. An dieser Stelle müssen wir aber auch festhalten, dass die ambulanten Maßnahmen auf niedrigem Niveau stagnieren. Dabei ist hier von großem Vorteil, dass Gäste in Abstimmung mit ihrem Arzt den Kurort und die Unterkunft selbst wählen. Darüber hinaus tragen die Krankenkassen das Kurarztgespräch, einen großen Teil der Anwendungen und geben einen Zuschuss zu den Übernachtungen. 

 

Aus welchen Regionen kommen die Gäste?

 

BOLLER: Die medizinische Kompetenz in Verbindung mit den vielfältigen Erholungsmöglichkeiten der Heilbäder und Kurorte sorgt dafür, dass unsere Gäste aus aller Welt anreisen. Dazu zählen arabische, russische oder chinesische Besucher ebenso wie Touristen aus den Benelux-Staaten, die sich besonders in Nordhessen wohlfühlen. Wir Hessen reisen aber auch sehr gerne in Hessen. 

 

Sehen sie noch Bedarf für weitere Heilbäder in Hessen? 

 

BOLLER: Die Grundvoraussetzung für ein Prädikat ist das Vorkommen eines Natürlichen Heilmittels. Heilwasser, Moor oder Heilklima sind ein Schatz, der im wahrsten Sinne des Wortes geborgen und darüber hinaus sorgsam gepflegt sein will. Mit der konsequenten Anwendung eines Natürlichen Heilverfahrens, wie wir es zum Beispiel aus der Kneipp-Therapie kennen, eröffnet sich ein zweiter Weg für einen Ort, das Prädikat „Heilbad“ oder „Kurort“ zu erreichen. Darüber hinaus müssen zahlreiche Kriterien erfüllt werden, die bundesweit geregelt sind. Die Anzahl der Städte, die sich zu einem Heilbad oder Kurort weiter entwickeln können, ist also begrenzt. Wir haben aber erfreulicher Weise zurzeit einige Anfragen von Luftkurorten, die das Ziel „Heilklimatischer Kurort“ erreichen könnten.

 

Wie unterstützt der Heilbäderverband seine Mitglieder?

 

BOLLER: Wir arbeiten eng mit dem Deutschen Heilbäderverband und weiteren Partnern auf bundesdeutscher Ebene zusammen. Mit den für uns zuständigen Ministerien in Hessen führen wir Gespräche beispielsweise zum „Bäderpfennig“, der dazu beiträgt, die kurspezifische Infrastruktur vorzuhalten und zu pflegen, oder zur Rechtsverordnung „Kurbeitrag und Tourismusbeitrag“. Wir verhandeln mit den Krankenkassen neue Preise für Behandlungen aus, die in den Heilbädern und Kurorten abgegeben werden. mei

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