Über den alltäglichen Sexismus, falsch verstandene Komplimente und die Folgen der „Me-Too“-Debatte ein Gespräch mit der Feministin und Buchautorin Zana Ramadani.
Frau Ramadani, klären Sie uns auf. Was ist Sexismus?
ZANA RAMADANI: Sexismus ist ein Oberbegriff für Stereotype, Vorurteile und bestimmte Verhaltensweisen, die einen Menschen allein aufgrund seines Geschlechtes entgegengebracht werden. Sexismus kann auch zu Diskriminierung bis hin zu sexueller Gewalt führen. Muss es aber zwangsläufig nicht. Jedoch steht fest, wer grundsätzlich sexistisch denkt, der handelt auch eher sexistisch und diskriminierend.
Hat die Me-Too-Debatte das Thema „Sexismus“ befördert und ins Bewusstsein der Gesellschaft gerufen?
RAMADANI: Ja. Hat sie. Jedoch hat das undifferenzierte Ausufern das Gegenteil bewirkt. Dadurch, dass jedes missglückte hilflose Kompliment mit sexueller Gewalt in einen Topf geworfen und damit gleichgesetzt wurde, werden tatsächliche Opfer von sexueller Gewalt wie Vergewaltigung damit nur verhöhnt. Des weiteren werden damit die Stereotypen von Frauen also „Frau = hilfloses Opfer“ und „Mann = triebgesteuerter Täter“ verfestigt.
Mit dem Film-Produzenten Harvey Weinstein und dem Regiesseur Dieter Wedel nahm die MeToo-Debatte ihren Anfang. Gibt es Sexismus nur in Hollywood?
RAMADANI: Nein. Sexismus gibt es überall. Das kann jeden treffen.
Warum wehren sich Frauen erst nach Jahrzehnten gegen solche sexuellen Übergriffe?
RAMADANI: Es gibt viele Gründe dafür: Das junge Alter der Opfer. Die Angst und die Scham, verursacht durch das Moral-Korsett der noch immer patriarchalen Gesellschaft. Das anerzogene Frauenbild in der patriarchalen Erziehung. Zudem haben damals viele weggesehen und es nicht ernst genommen. Frauen und Männer haben damit das Unterdrücker-/Vergewaltigersystem gestützt und die nächsten Opfer ermöglicht.
Hat die MeToo-Debatte die Geschlechterverhältnisse zum Positiven verändert?
RAMADANI: Einerseits wurde solchen Männern deutlich gemacht, dass man mit einem widerwärtigen und strafbaren Verhalten nicht ewig durchkommt. Andererseits führt das Ausufern der Debatte dazu, dass aus dem noch immer herrschenden Geschlechterkampf ein Geschlechterkrampf wird.
Was ist an dieser Debatte schief gelaufen?
RAMADANI: Es ist eine undifferenzierte Debatte geworden ist. Jeder meint, Beschuldigungen anonym in die digitale Welt hinausschreien zu können. So steht dann jedes missglückte Kompliment unter einem und dem selben Hashtag vereint mit sexueller Gewalt. Von Genderfeministinnen wird ungeprüft alles als Tatsache hingenommen.
Gibt es mittlerweile eine Seximus-Hysterie?
RAMADANI: Ja, gibt es.
Welchen Anteil haben daran (radikale) Feministinnen?
RAMADANI: Radikale Feministinnen sind nicht das Problem. Ich zähle mich selber zu den radikalen Feministinnen. Das Problem sind Frauen und Feministinnen, die nur den Mann als Sündenbock sehen. Die weder mit sich selbst noch mit ihren Geschlechtsgenossinnen selbstkritisch umgehen. Sie wollen nicht erkennen, dass wir genug Frauen in unseren eigenen Reihen haben, die das System aufrechterhalten und damit fördern. Sie wollen auch nicht sehen, dass Frauen ebenfalls sexistisch sein können. Viel wichtiger wäre es doch zu erkennen, wie Frauen oftmals mit ihrem alltäglichen Verhalten dazu beitragen, dass patriarchale System aufrecht zu erhalten.
Sind denn Frauen „Häschen“, die sich nicht gegen Übergriffe wehren können?
RAMADANI: Wir müssen erstmal entscheiden, ob es um missglückte Komplimente und respektloses Benehmen oder einen tatsächlichen sexuellen Übergriff wie Vergewaltigung handelt. In meiner Welt kann sich jede Frau gegen diese Art von Sexismus wehren und Grenzen setzen. Denn Frauen sind keine Häschen. Frauen passen einfach nicht in das dumme Stereotyp von Schwäche. Denn schwach ist nur, wer schwach gemacht wird. Wenn wir über sexuelle Übergriffe reden, dann kann das jeder Frau und jedem Mann passieren. Wichtig ist es nun vor allem, der nächsten Generation Mädchen eine gewisse Selbstsicherheit und Stärke anzuerziehen. Es müsste auch Selbstverteidigungskurse schon in den Grundschulen geben. Und Frauen muss beigebracht werden, dass es weder ein Mann, ein Job noch alles Geld der Welt wert ist, etwas gegen den eigenen Willen zu tun.
Welche Verhaltensweisen von Frauen im Alltag fördern die Männerherrschaft?
RAMADANI: Zunächst müssen wir Frauen uns auch bewusst werden, dass wir natürlich auch oft im Alltag Männer in Stereotypen drängen, zum Beispiel Mann = Versorger, Beschützer... Dann gibt es noch weitere Dinge die wir eher unbewusst unterstützen, zum Beispiel TV-Shows wie „Germanys next Topmodell“ oder „Bachelor“, die ein erniedrigendes Frauenbild vermitteln. Oder zum Beispiel Make-up-Produkte kaufen, deren Testimonials Männer in Frauenkleidern sind, also eine Übertreibung der Weiblichkeit darstellen. Das befeuert die alten Frauen-Stereotype, von denen wir unbedingt weg müssen. Dann gibt es viele junge Frauen, die Prostitution nicht verwerflich finden und sogar frauenverachtende Pornos mit ihren Partnern schauen, sich aber wundern, wenn sie respektlos von ihren Kerlen behandelt werden.
Wie sind die Geschlechterverhältnisse unter diesen Umständen zu befrieden?
RAMADANI: Es wird Zeit, dass die Debatte wieder differenziert geführt wird. Und wir müssen uns dringend den akuten Problemen der Durchschnittsfrauen zuwenden: Lohnungleichheit, Wiedereinstig nach Elternzeit, Betreuungsplätze für die Kinder, höhere Armut bei alleinerziehenden Frauen, Altersarmut.
Buchhinweis: Zana Ramadani, Sexismus. Über Männer, Macher und #Frauen, Europaverlag 2018, 208 Seite, 18,90 Euro
ZUR PERSON: Die Frauenaktivistin Zana Ramadani (Jahrgang 1984) greift mit ihren kritischen Thesen jetzt mit ihrem neuen Buch „Sexismus“ auch in die „Metoo“-Debatte ein. Mit sechs Jahren kam die gebürtige Mazedonierin mit ihrer muslimischen Familie nach Deutschland und lebte dort im Sauerland. Ihre Mutter habe am traditionellen Frauenbild festgehalten, das durch den Koran so vorgeschrieben sei, so Ramadani. Im Alter von 18 Jahren floh Ramadani in ein Frauenhaus, wurde Rechtsanwalts- und Notariatshelferin sowie Finanzberaterin. Später studierte sie an der Fernuniversität in Hagen unter anderem Politikwissenschaften. Sie engagierte sich für Frauenrechte bei „Femen“. mei