Frau Sessler, wie kommt eine Philosophin zur Bank?
MARIE-LUISE SESSLER: Philosophen können hervorragende Banker sein, wenn sie denn wollen. Als Thales von Milet, ein antiker griechischer Philosoph, beweisen wollte, dass die Philosophie doch zu etwas nütze sein und man damit sogar Geld verdienen kann, mietete er im Winter für ein Jahr im Voraus alle Ölivenölpressen der Region an. Als dann im Sommer die Olivenernte kam, konnte er die Maschinen zu einem wesentlich höheren Preis weiter vermieten. Also hat ein Philosoph vor 2500 Jahren den
Terminhandel erfunden.
Das war der historische Grund für Ihre Berufswahl. Gibt es noch einen?
SESSLER: Ja, das war die lange Antwort! Die kurze Antwort lautet: Durch einen Umweg über die Geschichte. Ich habe mit dem Schwerpunkt Mediävistik studiert – das Mittelalter ist die Zeit, in der das europäische Bankwesen entsteht. Das fand ich hoch spannend. Also habe ich während der Promotion noch ein wirtschaftswissenschaftliches Studium absolviert und bei Banken gejobbt.
Wie philosophisch ist Banking?
SESSLER: Banking ist eine hoch philosophische Angelegenheit! Unser Finanzsystem ist ein reines Produkt des menschlichen Geistes. Es existiert nur aufgrund menschlicher Sprache, nicht etwa wie Bäume oder Steine, die es auch ohne den Menschen gäbe.
Warum braucht es denn nun Philosophen m Banking?
SESSLER: Weil wir Vordenker brauchen. Gerade in einer Zeit, in der immer mehr hochgradig fachspezifische Aufgaben perspektivisch viel besser von Maschinen als von Menschen erledigt werden können. Aus meiner Sicht braucht die Branche keine systemkonformen Einser-Absolventen, sondern Menschen, die mutig im Denken sind. Die Branche ist auf der Suche
nach neuen Geschäftsmodellen. Da darf das Denken keine Grenzen haben, es muss bekannte Muster überschreiten können.
Gibt es Beispiele für diesen Denkansatz?
SESSLER: Die Head of Moonshots von Google, Obi Felten, ist eine Philosophin. Der Gründer von Alibaba, Jack Ma, ist ein
Geisteswissenschaftler, der sehr viel Inspiration aus der chinesischen Philosophie zieht und nach dem Motto „think first, code second“ arbeitet. Unser Kreditinstitut hat diesen Trend erkannt. Neben mir gibt es noch einen Philosophen, Christoph Richard Müller, der die Unternehmensstrategie vorantreibt.
Banking ohne „Geld“ ist schwer vorstellbar. Welche Beziehung haben Sie zu Geld? Wie wichtig ist es Ihnen?
SESSLER: Mit Geld alleine kann man nichts anfangen. Es ist ein Mittel zum Zweck. Für mich sind Freiheit und Unabhängigkeit wichtig im Leben. So paradox es auch klingen mag, das muss man sich in unserer Gesellschaft erst mal leisten können – und da kommt dann wieder das Geld ins Spiel.
Sie sind Co-Leiterin des Innovation Lab der Frankfurter Sparkasse im Techquartier an der Messe. Was passiert dort?
SESSLER: Das Innovation Lab leite ich gemeinsam mit meinem Co-Direktor Michael Koßmehl. Er istWirtschaftsinformatiker – auch wenn er nicht als solcher bezeichnet werden will. Das Innovation Lab ist der Inkubatoroder auch eine Art „Inhouse- Fintech“ der Frankfurter Sparkasse: Wir entwickeln dort Ideen zu neuen Produkten, Prozessen sowie Dienstleistungen nach Methoden
aus dem Silicon Valley. Wir „prototypisieren“ und „vertesten“ diese Ideen.
Mit was beschäftigen Sie sich noch?
SESSLER: Wir betreiben dort auch sogenanntes Culturalhacking. Das heißt im Klartext, wir versuchen den kulturellen Wandel im Unternehmen voranzutreiben. Und das Wichtigste und Beste ist, wir beschäftigen uns mit neuen Geschäftsmodellen, die zwar noch die DNA einer Sparkasse in sich tragen, aber über das Banking hinausgehen.
Wie viel Digitalisierung verträgt eine Bank?
SESSLER: Die Frage ist doch eher, wie viel Bank verträgt die Digitalisierung. Digitalisiert hat die Branche schon viel, oder sie ist zumindest gut dabei. Da haben wir auch mittlerweile alle verstanden, wie das geht, und haben uns in gewisser Weise die großen IT-Riesen aus dem Silicon Valley zum Vorbild genommen. Ich denke, dass Banken neue Geschäftsmodelle brauchen, um in der Digitalisierung erfolgreich sein zu können.
Was kommt nach dem Fintech-Hype, der die Banken antreibt?
SESSLER: Ich denke, es wird eine große Herausforderung sein, neue Technologien gesellschaftsfähig zu machen. Das heißt, eine Technologie setzt sich nur dann durch, wenn sie von der Gesellschaft akzeptiert wird. Man denke hier etwas an Robotik und künstliche Intelligenz, was vielen Menschen Angst macht. Hierbei reicht es nicht, mit bekannten Verfahren einer individuellen
Userexperience vorzugehen, es muss nach einer Social Experience geschaut werden, es muss über Ethik gesprochen werden. Denn die neuen Technologien verändern auch unser Menschenbild. mei