Vielerorts geben die Sicherheitspolitiker den Ton an. Mauern werden hochgezogen, Fluchtrouten verlagern sich. Und denen, die helfen wollen, kommt Schweigen oder Hass entgegen.
Die stärkere Zusammenarbeit insbesondere zwischen Italien und dem Bürgerkriegsland Libyen habe schon in der zweiten Jahreshälfte 2017 zu einem starken Rückgang der Ankünfte in Europa geführt. Der Trend habe sich 2018 verstärkt: Kamen 2017 laut der Internationalen Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM) mehr als 186.700 Migranten in Europa an, waren es 2018 nur noch gut 144 000.
Die Wende im Mittelmeer
Minus 80 Prozent: So viel weniger Migranten seien 2018 über die zentrale Mittelmeerroute zwischen Libyen und Italien nach Europa gekommen. Seit in Italien im Juni 2018 eine neue Regierung und mit ihr der Innenminister Matteo Salvini an die Macht kam, fahre Rom eine rigorose Antiflüchtlingspolitik. Das zeige Wirkung - es hätten sich aber auch zusätzliche Migrationsrouten etabliert. Spanien hat Italien in Europa als Hauptziel von Migranten abgelöst, gefolgt von Griechenland. Spanien erreichen die Menschen von Marokko oder Algerien aus. Die Straße von Gibraltar zwischen Marokko und Spanien ist an ihrer engsten Stelle nur 14 Kilometer breit.
Die Krise
Die Zeiten der Krise seien vorbei. Das betont EU-Ratschef Donald Tusk bei jeder Gelegenheit - auch um den ohnehin erstarkten Populisten das Feld nicht zu überlassen. Die Zahlen geben ihm Recht, erreichten sie IOM-Schätzungen zufolge 2018 so niedrige Werte wie seit 2013 nicht. Am politischen Willen für eine Lösung mangele es jedoch. 2018 befand sich die EU in Sachen Migration fast dauerhaft im Krisenmodus und kam auch bei der Reform der Dublin-Verordnung kein Stück voran. Vor allem die Alleingänge Italiens stellten die Staatengemeinschaft vor vollendete Tatsachen.
Die geschlossenen Häfen
Schlagzeilen machten nach dem Amtsantritt der populistischen Regierung in Italien nicht verzweifelte Menschen auf überfüllten Schlauchbooten, sondern Hunderte festsitzende Migranten - auf Rettungsschiffen auf dem offenen Meer oder im Hafen. Innenminister Salvini sandte klare Signale: An die Partner der "unfähigen und schädlichen" EU, von denen Rom Solidarität fordert. Oder an die von ihm oft als Schlepper-Helfer bezeichneten Hilfsorganisationen, für deren Schiffe er die Häfen des Landes schloss.
Das Schweigen der anderen Staaten
Das Schweigen der anderen Staaten zeige, wie sehr sich die Stimmung gegen die zivilen Retter gedreht habe. Ja zur Rettung hört man zwar nach wie vor - allerdings auch keinen Einspruch dagegen, dass sich Italien weitgehend aus der Koordinierung der Seenotrettung zurückgezogen und an die Libyer übergeben habe. Und das, obwohl die Lage in dem Bürgerkriegsland weiterhin unübersichtlich sei - und die Situation in den Migrantenlagern desaströs.
Die Toten im Mittelmeer
Die Flucht über das Mittelmeer ist für Migranten gefährlicher geworden. 2018 kamen bei der Überfahrt laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf im Durchschnitt sechs Menschen am Tag ums Leben. Im Jahr davor waren es mehr als acht Menschen pro Tag, allerdings seien die Flüchtlingszahlen insgesamt deutlich höher gewesen. Das UNHCR erklärt die hohe Todesrate mit der geringen Präsenz von zivilen Rettungsschiffen vor der libyschen Küste.
Der Dialog über "Anlandezentren"
Gegen die wohl konkreteste Vorstellung der EU, wie Migration von Afrika aus eingedämmt werden kann, haben sich Tunesien, Marokko und Algerien erfolgreich zur Wehr gesetzt. Brüssel will mit Ägypten einen Dialog über sogenannte Anlandezentren nach internationalem Standard führen, in die im Mittelmeer gerettete Migranten gebracht werden sollen. Doch das Land lehne die Zentren ebenso ab wie die Maghreb-Staaten. Der Präsident des Staats, Abdel Fattah al-Sisi, könnte seinen Landsleuten nur schwer vermitteln, warum Gerettete in ihrer Heimat besser leben sollen als Teile der Bevölkerung.
Die Rückkehr der Retter
Die zivilen Seenotretter seien vor allem durch die Abschottungspolitik der italienischen Regierung stark unter Druck geraten, ihre Missionen weitgehend zum Erliegen gekommen. Schiffe wie die "Sea-Watch 3" oder "Lifeline" wurden im Laufe des Jahres 2018 von den Behörden etwa auf Malta festgesetzt, andere wie die "Aquarius" von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée verloren ihre Flagge. Doch nun wollten die Hilfsorganisationen Sea Watch aus Deutschland und Proactiva Open Arms mit dem italienischen Projekt Mediterranea wieder dauerhaft vor der libyschen Küste präsent sein. Dass wieder Menschen zu Tausenden gerettet werden, daran glaubt in Europa so gut wie niemand. Die Krise besteht weiter - nun eben an den Grenzen Europas.
pm, ots, mei