Herr Voll, wann haben Sie ihr letztes Schnitzel mit Genuss gegessen?
FRANZ-JOSEF VOLL: Das war vor genau drei Tagen. Das Schnitzelfleisch habe ich mir von einem befreundeten Metzger aus Wuppertal schicken lassen. Bei ihm weiß ich, wo seine Tiere herkommen und wie er diese später verarbeitet. Ich wohne auf Usedom. Aber auf der ganzen Insel gibt es nur noch einen Fleischer. Die Metzgerläden sind, wie auch sonst in Deutschland, auch hier fast ausgestorben. Wer sich mit Fleisch versorgen will, kommt an den Supermärkten nicht vorbei.
Welche Fleischqualität bekommt der Verbraucher denn bei den Discountern und den Lebensmittelmärkten denn aufgetischt?
VOLL: Die Qualität von Fleisch unterscheidet sich nur wenig. Und so ist es im Prinzip egal, ob der Verbraucher sich für Ökofleisch entscheidet oder sein Fleisch im Supermarkt kauft. Fleisch ist Fleisch. Beim Ökofleisch stehen aber die Haltungsbedingungen und der Tierschutz im Vordergrund. Es ist also positiv zu bewerten, wenn der Verbraucher beim Ökometzger einkauft.
Biofleisch ist nicht gerade billig. Aber manche Fleischangebote im Supermarkt werden dagegen regelrecht verramscht. Woran liegt das?
VOLL: Es haben sich die Zeiten geändert. Früher haben die Metzger in erster Linie Fleisch verkauft. Was nicht verkauft wurde, hat man dann zur Wurst verarbeitet. Heute hat die Industrie erkannt, dass man mit Wurst Milliarden verdienen kann. Leider ist dann das Muskelfleisch der Schlachttiere noch übrig. Das muss weg und wird deshalb verramscht. Kaufmännisch dient Fleisch den Unternehmen lediglich zur Deckung der Kosten. Die Rechnung der Fleischindustrie sieht so aus. Aktuell kostet ein Kilo Schlachthof-Schweinefleisch 1,30 Euro. Die Wurstproduktion kostet dann 0,90 Euro je Kilo. Im Supermarkt wird das Wurstprodukt dann für sechs Euro pro Kilo an der Theke verkauft.
Dumpingpreis und Qualität. Wie passt das denn zusammen?
VOLL: Grundvoraussetzung ist, dass der ständige Nachschub an Tieren niemals aufhört. Und den Takt bestimmt hierbei die Fleischindustrie. Das fängt bei der Massentierhaltung an und endet bei allem, was in den Ställen passiert. Für alles trägt die Fleischindustrie die Verantwortung.
Was richtet die Massentierhaltung alles an?
VOLL: Massentierhaltung ist auch deswegen gefährlich, weil hier auch in Massen Antibiotika eingesetzt wird. Für die Umwelt ist Massentierhaltung eine reine Katastrophe. Ich denke hier an die Transporte der Tiere und die Verödung der landwirtschaftlichen Flächen. Und: Ein Schwein, das im Prinzip ein lustiges und fröhliches Tier ist und gerne läuft in ein Gittergehege einzusperren, ist pervers. Die Massentierhaltung schafft auch keine Arbeitsplätze. Sie funktioniert nur mit wenig Personal, sonst wird es für die Unternehmer zu teuer. Außerdem müssen die Mitarbeiter etwas schmerzfrei sein, um auch mal in der Lage zu sein, ein krankes Tier mit dem Hammer zu erschlagen, denn einen Tierarzt zu holen, ist für den Unternehmer zu teuer.
Wie sieht es bei den Hühnern aus?
VOLL: Wenn ich früher als Lebensmittelkontrolleur einen Hühnerstall kontrollierte, bekam ich bereits nach zehn Meter keine Luft und meine Augen tränten. Wenn die Hühner abgemagert und runtergekommen waren, dann wurden sei für 10 Pfennig das Stück verkauft. Dementsprechend gingen auch die Arbeiter mit den Tieren um. Wenn die Hühner abgeholt wurden, wurden sie geworfen wie Ziegelsteine.
Warum essen die Deutschen bei diesem Tierleid so viel Fleisch?
VOLL: Die Deutschen haben fast keine andere Chance, am Fleischverzehr vorbeizukommen. Sie bekommen das Fleisch im Supermarkt sehr billig, weil die Industrie das so will. Und die Deutschen kaufen es, weil es billig ist. Zwischenzeitlich ist beispielsweise Kohlrabi in den Supermärkten teurer als Fleisch. Der Fleischkonsum soll angeblich zurückgegangen sein. Das kann ich nicht glauben. Wenn ich in die Einkaufswagen der Supermärkte schaue, dann haben sich die Verbraucher in der Regel immer mit reichlich Fleisch eingedeckt. So hat Beispiel ein Lebensmittelhändler in Braunschweig an einem Tag 1,5 Tonnen Hackfleisch verkauft. Und das in einem Laden.
Was wollen Sie uns damit sagen? Fleischverzicht üben?
VOLL: Die Menschen sind sich nicht darüber im Klaren, wie viel Fleisch sie essen. Aber trotzdem: Es ist nicht schlecht, dass wir die Möglichkeit haben, auch unter der Woche Fleisch zu essen. Man soll den Menschen auch nicht vorwerfen, dass sie Fleisch essen. Aber sie sind auch bereit, Geld dafür auszugeben. Das sieht man auch an dem Erfolg von Bioläden. Wenn die Industrie das Gegenteil behauptet, ist das eine glatte Lüge.
Aber nicht das ganze Fleisch landet im deutschen Lebensmittelhandel. Was passiert mit der Überproduktion?
VOLL: Darum kümmern sich die Fleischmakler. Die vermakeln das Fleisch auf der ganzen Welt. China ist hier ein Großabnehmer. Schweineknochen und -pfoten stehen dort hoch im Kurs. Und wenn die Fleisch-Überproduktion in Drittländer außerhalb der EU vermarktet wird, dann wird das sogar noch mit Subventionen gefördert. Fleisch ist mittlerweile ein Produkt geworden wie Bremsscheiben und Nockenwellen. Aber auch in unseren Läden landen Überproduktionen beim Verbraucher. Ich erinnere daran, dass ein großer Discounter das Kilo Grillsteak für 1,99 Euro verkaufte.
Herr Voll, Sie haben auch lange als Lebensmittelkontrolleur gearbeitet. Welche Fällen sind Ihnen in Erinnerung geblieben?
VOLL: Im Rahmen eines Chinageschäfts sollten gammelige Schweinepfoten mit Eiterbeulen von Deutschland aus dort hingehen. Alles, was noch einigermaßen nach Pfote aussah, sollte nach China gehen. Dafür gab es aber, nachdem wir die Machenschaften aufgedeckt hatten, Gefängnisstrafen für die Täter.
Sind denn so viele Betrüger in der Fleischindustrie unterwegs?
VOLL: Nein. Aber ein leichter Hang zur Kriminalität stört auch in dieser Branche nicht. Heute kann man Lebensmittel ohne Problem fälschen, das fällt nicht auf. Die Strafen dafür sind lächerlich. Prinzipiell bekommt die Lebensmittelindustrie vom Gesetzgeber alles erlaubt.
Aber die Lebensmittelindustrie setzt auch Trends ...
VOLL: ... Ja, derzeit sogenanntes vegetarisches Fleisch. Das besteht aus Hühner- und Sojaeiweis und einer Prise Lebensmittelchemie, da es eingefärbt und mit Aromen bearbeitet werden muss. Wird dieses Produkt ein Renner, brauchen wir immer mehr Hühner. Aber wer diese Produkt isst, um weniger Fleisch zu essen, der sollte einfach weniger Fleisch essen. Ein Trend, der wieder gekommen ist, ist das fettdurchzogene Fleisch. Vor einigen Jahren gab es noch den „Magertrend“. Fast jeder wollte nur noch mageres Fleisch essen. So wurden entsprechende Tiere gezüchtet. Jetzt muss die Fleischindustrie wieder um die halbe Welt reisen, um Fleisch zu importieren, das fettdurchzogen ist.
Welche Möglichkeiten hat unter diesen Umständen der Verbraucher, wenn er weiterhin auf Fleisch nicht verzichten möchte?
VOLL: Der Verbraucher sollte kritisch sein und beim Fleischkauf nachfragen. Er sollte beim Metzger nachfragen woher das Fleisch stammt und welche Inhaltsstoffe er verwendet. Das kann durchaus Wirkung zeigen. So benutzt mein Metzger aus Wuppertal noch nicht einmal Phosphat als Inhaltsstoff für seine Produkte. mei
Buchhinweis: Franz Josef Voll, Leo G. Linder, Schweinebande! Der Fleischreport – Ein Metzgermeister über die Praktiken seiner Zunft, Ludwig Verlag, München 2017, 288 Seiten, 16,99 Euro
ZUR PERSON: Franz-Josef Voll Franz-Josef Voll (62) wurde in Essen geboren. Nach der Fleischerlehre und seiner Meisterprüfung arbeitete er in mehreren Handwerksbetrieben. Ab 1975 war er für verschiedene Kaufhauskonzerne tätig. 1986 wechselte Voll in das Amt für Lebensmittelüberwachung in Nordrhein-Westfalen als Lebensmittelkontrolleur. 1998 machte er sich als Unternehmensberater für Lebensmittelbetriebe selbständig. Im Jahr 2003 wechselte er zur Lebensmittelüberwachung Niedersachsen. Im Jahr 2014 wird Voll Berater des Team Wallraff beim Fernsehsender RTL. Voll ist heute als Buchautor tätig. mei