YouTube: CDU-Chefin macht einen riesengroßes Fass auf

Badische Zeitung zum Thema "Meinungsmache"

 

Vor lauter Panik angesichts der Durchschlagskraft von Youtube-Stars und Influencern auf Instagram und anderswo vergaß Kramp-Karrenbauer, dass es die Regeln längst gibt, die sie einfordert: Meinungsfreiheit und Pressefreiheit "finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze".

 

 Das kann heute schon strafbar sein

 

So steht es im Grundgesetz. Lügen zu verbreiten, andere zu verunglimpfen - das kann heute schon strafbar sein. Und das ist gut so. Mehr wäre undemokratisch. Man darf annehmen, dass die CDU-Chefin dies alles ebenfalls weiß. Dass sie sich dermaßen vergaloppierte, wo sie womöglich bloß die in der Tat bedenkliche Debattenkultur im Netz geißeln wollte, spricht nicht für Souveränität, sondern eher für Überforderung.

 

Rheinische Post - Was ist eigentlich mit AKK los?

 

Annegret Kramp-Karrenbauer ist eine kluge Frau. Sie hat mit Leidenschaft und List den populären Friedrich Merz bei der Wahl zum CDU-Vorsitz besiegt. Sie hat als saarländische Bildungs- und Innenministerin die Wissenschaft vorangebracht und geräuschlos eine Polizeireform umgesetzt. Sie war eine beliebte Ministerpräsidentin, weil sie unprätentiös agierte und mit allen gesellschaftlichen Schichten konnte. Ein gewinnender Typ. Sie konnte zuhören. Dann wurde AKK Vorsitzende der CDU. Und seither hat sie der politische Instinkt verlassen.

 

 Die Debatte wäre nach drei Tagen beendet gewesen

 

Als erste öffentliche Tat nahm sie Intersexuelle aufs Korn und verweigerte Journalisten beim Werkstattgespräch den Zugang. Sie veröffentlichte ein Europa-Papier mit sachlichen Fehlern, ohne vorher die eigenen Europa-Experten zu konsultieren. Schließlich lehnte sie es ab, auf ein kritisches Youtube-Video, das bis dahin schon Millionen Menschen gesehen hatten, mit einem selbstironischen Video des CDU-Jungstars Philipp Amthor zu reagieren. Die Debatte wäre nach drei Tagen beendet gewesen. Stattdessen wurde die Reaktion der CDU selbst Thema.

 

 Was ein reaktionäres Verhalten

 

Und nun denkt sie, nach einer desaströsen Wahlniederlage, laut über Regeln für das Internet nach, damit reichweitenstarke Youtuber nicht gegen die CDU zu Felde ziehen. Was für ein reaktionäres Verhalten! Hat die CDU die junge Generation aufgegeben? Der Youtuber Rezo hat in seinem Video, in dem er CDU und SPD bei den Themen Klimawandel und Sozialpolitik scharf kritisiert, viel Richtiges gesagt, aber dabei zugespitzt und manche Fakten unzureichend dargestellt. Das soll sogar im Qualitätsjournalismus vorkommen.

 

 Nicht den Überbringer der Botschaft bestrafen

 

Die feindselige Reaktion mancher Journalisten ist ebenso falsch wie die Idee der CDU-Chefin, den Überbringer der Botschaft zu sanktionieren, anstatt auf die Botschaft einzugehen. Werbung politischer Art ist unzulässig, heißt es im Rundfunkstaatsvertrag. Youtube gilt als fernsehähnlich. Politische Werbung bezieht sich aber auf eingekaufte Werbebeiträge, dies ist bei Rezo nach eigener Aussage nicht der Fall. Auch lassen sich SPD und CDU selbst von prominenten (und reichweitenstarken) Persönlichkeiten im Wahlkampf unterstützen, etwa Iris Berben für die SPD oder Christoph Metzelder für die CDU.

 

 Vorstoß ist praktisch geprägt und wirkt beleidigend

 

Warum sollte Rezo nicht seine Meinung kundtun? Kramp-Karrenbauers Vorstoß ist taktisch geprägt, und er wirkt beleidigt. Instinktsicher ist er nicht. Von einem AKK-Problem sprechen manche. Eine US-Nachrichtenagentur berichtete, dass Angela Merkel ihre Nachfolgerin nicht für kanzlertauglich hält. Die Meldung wird dementiert. Aber von einem AKK-Bonus ist nirgends die Rede. 

 

Allgemeine Zeitung Mainz - Im Neuland

 

Hilflos, planlos, ahnungslos: Der Umgang der CDU mit der Wutrede eines Youtubers ist ein einziges Kommunikationsdebakel. Online und offline. Und weil Politik zu großen Teilen aus Kommunikation besteht, hat die Parteichefin ein Problem. Denn Annegret Kramp-Karrenbauer ist die Hauptverantwortliche für das Debakel. Sie hat das Thema zunächst unterschätzt und dann eine Debatte entfacht, in der sie nur verlieren kann.

 

Meinungsfreiheit umfasst auch Meinungsmache

 

Meinungsfreiheit umfasst auch Meinungsmache - dafür braucht es keine neuen Regeln. Sofern man heftige Kritik nicht mit Hasspostings verwechselt, wie es Kramp-Karrenbauer offenbar tut. Wahnsinn, dieses Internet-Neuland: Ein Youtuber bringt die mögliche nächste Kanzlerin in Bedrängnis. Wie konnte es dazu kommen? Zunächst einmal wird hier die digitale Spaltung der Gesellschaft überdeutlich. Die einen sind ohne Internet aufgewachsen und leben nun damit, die anderen leben darin, weil sie es von klein auf kennen.

 

Da prallen Welten aufeinander

 

Da prallen Welten aufeinander, da antworten die einen mit einem mehrseitigen Schriftstück auf ein millionenfach geklicktes Video der anderen. Häme ist nicht angebracht, dieses Verständigungsproblem hat nicht nur die "alte" Politik. Das haben auch die "alten" Medien - Preisfrage für beide: Wie sprechen wir jüngere Zielgruppen an? AKK selbst hatte die Aufgabe, die CDU wieder zu einen, deren Status als Volkspartei zu verteidigen und sich auf das Kanzleramt vorzubereiten. Dabei ist sie aus dem Tritt geraten, nach mehreren Kommunikationspannen und nun einem echten -desaster. Wenn die CDU bei den Landtagswahlen im Osten großflächig hinter der AfD landet, werden diejenigen, die zuletzt Friedrich Merz unterstützt hatten, offen die Machtfrage stellen. 

pm, ots