Auch Hessen liegt in dem bundesweite Trend: Die Zahl der Leiharbeitnehmer steigt kontinuierlich, weiß Brigitte Baki, beim DGB Hessen-Thüringen in Frankfurt für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik verantwortlich. Seien im Dezember 2013 noch circa 62.000 Personen als Zeitarbeitnehmer beschäftigt gewesen, waren es zwei Jahre später schon fast 71.000.
Die Bundesregierung will sich jetzt dem Problemfeld Leiharbeit annehmen und denkt über Reformen nach. So soll im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) künftig geregelt sein, dass Zeitarbeitnehmer nur noch 18 Monate an einen Betrieb „ausgeliehen“ werden dürfen. Bisher gab es in dieser Hinsicht noch keine Regelung. Auch sollen die Leiharbeitnehmer nach neun Monaten den gleichen Lohn erhalten wie die Stammbelegschaft. Und als Streikbrecher dürfen die Leiharbeiter künftig auch nicht mehr zum Einsatz kommen.
Leiharbeiter verdienen deutlich weniger
Wer in einem Leiharbeitsverhältnis beschäftigt ist, verdient deutlich weniger als seine unbefristet angestellten Kollegen. Die DGB-Expertin verweist hier auf eine Entgelterhebung aus dem Jahr 2013. Das durchschnittliche Gehalt der Leiharbeiter lag demnach deutschlandweit monatlich bei 1700 Euro. „Im Vergleich dazu lag das Durchschnittsentgelt bei allen sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten bei rund 3000 Euro monatlich“, rechnet Baki vor.
Arbeitsverhältnisse sind nicht von langer Dauer
Und Leiharbeitsverhältnis sind nicht von langer Dauer. Wie Baki weiter erläutert, haben die in Hessen im 2. Halbjahr 2015 beendeten Beschäftigungsverhältnissen von Leiharbeitern haben 37 Prozent weniger als zwei Monate gedauert. Ein Jahr und länger hätten in diesem Zeitraum nur knapp 22 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse gedauert. Die meisten Leiharbeiter seien in Hessen mit circa 22 Prozent in den Tätigkeitsbereichen Lagerwirtschaft, Post, Zustellung und Güterumschlag angestellt. Danach folgt die Metallbearbeitung mit knapp 9 Prozent der Beschäftigten. Die Büro- und Sekretariatsarbeiten folgen mit knapp 6 Prozent.
Leiharbeit ist kein Randphänomen mehr
Leiharbeit und Werksverträge seien kein Randphänomen mehr. Die mit den Hartz-Gesetzen erfolgte Deregulierung habe wesentlich dazu beigetragen. Diese habe die Flexibilität für die Betriebe erhöht und Kosten gesenkt. Leiharbeit sei nach wie vor eine atypische Beschäftigung. Viele Beschäftigte fühlen sich als Arbeitnehmer zweiter Klasse und würden auch als solche behandelt.
Die Risiken des Arbeitsmarktes liegen beim Beschäftigten
Das besondere Dreiecksverhältnis zwischen Verleiher und Entleiher sowie der Leiharbeitskraft verlagere darüber hinaus die Risiken des Arbeitsmarktes sehr einseitig auf die Beschäftigten. Die Risiken des flexiblen Arbeitsmarktes tragen wie in keiner anderen Beschäftigtengruppe die Beschäftigten, nicht die Arbeitgeber, so die Auffassung der Gewerkschaft. Deshalb sei es dringend nötig, dass der Gesetzgeber hier einen Riegel vorschiebe und das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs von Leiharbeit und Werkverträgen endlich verabschiede.
Warnung vor einem komplexen Gesetz
Vor solchen einem „komplexen Gesetz“ warnt dagegen Herwarth Brune, Vorsitzender der Geschäftsführung des Zeitarbeitunternehmens Manpower Group Deutschland. „Die Frage, wie das Vergleichsentgelt rechtssicher berechnet werden soll, führt bei allen Beteiligten zu einer enormen Unsicherheit. Durch den Gesetzgeber müsste klar geregelt werden, dass sich die finanzielle Gleichstellung zwischen Zeitarbeitnehmern und Stammbeschäftigten des Einsatzbetriebes ausschließlich auf den Stundenlohn bezieht“, fordert er.
Zahlt der Kunde die Leistungen doppelt?
Zusätzliche freiwillige Leistungen wie Weihnachtsgeld anteilig in die Berechnung einzubeziehen, würde die „Komplexität“ weiter erhöhen und dazu führen, dass der Kunde solche Leistungen doppelt zahlt. „Denn in unserem Manteltarifvertrag sind Weihnachts- und Urlaubsgeld enthalten, unabhängig vom Einsatzunternehmen“, sagt der Manpower-Chef. Die Definition, was gleicher Lohn ist, dürfe nicht den Arbeitsgerichten überlassen werden, so Brune weiter.
Indiz dafür, dass es den Unternehmen gut gehe
Stefan Hoehl ist Arbeitsmarktexperte der Hessischen Unternehmerverbände. Für ihn ist der Anstieg der Leiharbeit in Hessen ein Indiz dafür, dass es den Unternehmen gut gehe. „Aufgrund der guten Konjunkturlage und dem weiterhin anhaltenden Boom am Arbeitsmarkt ist dies auch nicht verwunderlich. Viele Unternehmen, beispielsweise in der Metall- und Elektroindustrie, nutzen die Zeitarbeit, um flexibel auf die schwankende Auftragslage reagieren zu können“, so Hoehl. Die Aufnahme einer sozialversicherten Tätigkeit in der Zeitarbeit biete dabei auch denjenigen eine Chance, die einen besonders schweren Stand auf dem Arbeitsmarkt hätten.
Zwei Drittel hatten vorher keine Arbeit
„Fast zwei Drittel der Personen, die im zweiten Halbjahr 2015 eine Zeitarbeit aufgenommen haben, hatten vorher keine Arbeit“, sagt der Arbeitsmarktexperte. Knapp ein Viertel der Leiharbeiter seit einem Jahr oder sogar noch nie beschäftigt. Für viele sei die Zeitarbeit daher das dringend benötigte Sprungbrett in Beschäftigung.
Es gibt auch Chancen für die Arbeitnehmer
Frank Martin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Hessen, macht sich keine Illussionen über die „Zeitarbeit“. Gleichzeitig sieht er hier aber auch Chancen für Arbeitnehmer. „Die Zahl der Menschen, die in der Zeitarbeit beschäftigt sind, hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Diese Entwicklung birgt Chancen, aber auch Risiken. Der Einstieg in die Zeitarbeit kann für Arbeitnehmer, die noch über wenig Berufserfahrung verfügen oder auch längere Zeit von Arbeitslosigkeit betroffen waren durchaus den Neueinstieg in das Arbeitsleben bedeuten“, sagt er. Die hohe Dynamik dieser Beschäftigungsbranche äußere sich allerdings auch in einer oftmals vergleichsweise kurzen Beschäftigungsdauer. Oberstes Ziel sollte es deshalb sein, Mitarbeitern eine dauerhafte und existenzsichernde Beschäftigung zu geben.
Großteil der Mitarbeiter war vor der Einstellung arbeitslos
Nach Angaben des Zeitarbeit-Unternehmens Manpower, sei der Großteil der Mitarbeiter unmittelbar vor der Anstellung arbeitslos gewesen. Bei Manpower würden die Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig und in der Regel unbefristet eingestellt. Über die gesamte Branche hinweg liege der Anteil derer, die vor der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses in der Zeitarbeit nicht beschäftigt waren, bei etwa 70 Prozent. Hierzu zählten neben Erwerbslosen aber beispielsweise auch Berufseinsteiger. Rund ein Drittel der Manpower-Mitarbeiter sei zwischen 20 und 29 Jahren und stelle die stärkste Gruppe dar.
Maschinenbau, Autoindustrie, Chemie- und Pharmabranche fragen Zeitarbeit nach
Die wichtigsten Branchen, die bei Manpower Zeitarbeit nachfragten, seien der Maschinenbau und die Automobilindustrie sowie die Chemie- und Pharmabranche. Im gewerblich-technischen Bereich würden Helfer ebenso nachgefragt wie Facharbeiter. Bei den kaufmännischen Berufsgruppen erstreckt sich das Spektrum von Assistenzpositionen über Verwaltungsmitarbeiter bis hin zu Personalverantwortlichen. Zu einer anderen Einschätzung kommt man beim DGB Hessen-Thüringen. Leiharbeiter würden oft unterhalb ihrer Qualifikation eingesetzt. 40 Prozent der Leiharbeiter, die als Hilfskräfte eingesetzt werden, hätten eine abgeschlossene Berufsausbildung. Darüber hinaus fehlten Entwicklungsmöglichkeiten und Weiterbildung. mei