Europa in der schwersten Krise

Verschärfend kommt noch hinzu, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs keine gemeinsame Agenda mehr haben. Fast jedes EU-Mitglied ist auf seine eigenen Probleme fokussiert. Die Unfähigkeit, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, ist deshab die größte Gefahr für den Zusammenhalt Europas.

 

Drei Frankfurter machen sich deshalb große Sorgen. Um Europa kreisen ihre Gedanken. Dabei denken sie zu allererst an die entscheidende Wahlen, die im nächsten Jahr in Europa anstehen. Und zwar in den Niederlanden, in Frankreich und schließlich im September in Deutschland. 

 Einer von ihnen heißt Karl-Burkhard Haus, ist Texter und 52 Jahre alt. Er erklärt das Projekt, das ihn und seine Freunde antreibt. „Von Frankfurt geht eine private Initiative aus, die europafreundliche Menschen anstiften möchte, an den nächsten Wahlen teilzunehmen, um radikale Nationalisten zurückzudrängen“, fasst Haus das Projekt zusammen. „Pulse of Europe“ haben die Macher ihr Projekt getauft. „Etwas Drama motiviert ja immer, daher der hochtrabende Name“, schmunzelt Haus.  

 

Rechte Kräfte meinen, sie hätten das Sagen

 

Hansjörg Schmitt und Daniel Röder, beide 44 Jahre alt, gehören ebenfalls zum „Puls-of-Europe-Team“. Letzterer war auch der Impulsgeber für das gemeinsame Projekt. „Nach dem Brexit und der Wahl von Donald Trump war es für mich klar, dass ich etwas tun muss, um die europäische Idee zu verteidigen“, sagt Röder, der als Rechtsanwalt arbeitet.  Auch sein Kompagnon Schmitt ist Jurist und darüber hinaus noch Banker. Er ist sich sicher, wenn die Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden und Marine Le Pen in Frankreich bei den Wahlen in ihren Ländern das Rennen machen, Europa zerfallen wird. „Populisten und rechte Kräfte meinen heute, sie haben das Sagen. Wir glauben aber, dass das nicht so ist. Deshalb wollen wir Zeichen setzen und die Menschen aus ihrer Lethargie herausholen“, sagt Schmitt. 

 

Eine Lethargie wie in der Biedermeierzeit

 

Röder vergleicht diese Lethargie mit der Biedermeierzeit, mit der die Zeitspanne vom Ende des Wiener Kongresses 1815 bis zum Beginn der bürgerlichen Revolution 1848 in den Ländern des Deutschen Bundes zusammengefasst wird, die durch politische Restauration geprägt war. Mit dem Begriff Biedermeier verbindet man heute aber in erster Linie eine bürgerliche Kultur, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand. In dieser Zeit kultivierte das Bürgertum das Privat- und Familienleben in ganz neuem Ausmaß. Nicht die Repräsentation stand dabei im Vordergrund, sondern das häusliche Glück in den eigenen vier Wänden, die zum Rückzugsort wurden. 

 

Mehrheit könnte den Untergang Europas verpassen

 

Und in diesem Zustand der „In-sich-Gekehrheit“ verorten die Initiatoren von „Pulse of Europe“ auch die große Mehrheit der Bevölkerung. Diese könnten dann vielleicht den Untergang Europas verpassen. Für Röder, Schmitt und Haus ist es jedenfalls schon „fünf vor zwölf oder später“, um die EU zu retten. Die EU sei nämlich nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, wie sie von vielen offenbar aktuell wahrgenommen werde, sondern auch eine Friedensgemeinschaft.

 

"Die EU ist weit weg von den Bürgern"

 

Trotzdem sehen die drei Europa-Protagonisten die EU nicht gänzlich unkritisch. „Die EU ist zu weit weg von den Bürgern“, sagt Röder. Und Schmitt ergänzt, dass die EU nicht als eine Organisation wahrgenommen werde, die den Bürgern das Leben leichter mache. Darüber hinaus stellt Haus fest, dass in der EU zu viel „reglementiert“ werde. Letztendlich bestehe in der Europäischen Union ein „Demokratiedefizit“, konstatieren die drei Europa-Freunde. 

 

Auch der deutsche Staat ist "unter Beschuss"

 

Die Skepsis vieler Bürger gegenüber herrschenden Institution betreffe aber nicht nur die EU, der deutsche Staat sei auch „unter Beschuss“, so Schmitt. Und hier möchte die Initiative einhaken. „Für unser Projekt wollen wir alle Menschen ansprechen, auch die Europa-Skeptiker“, sagt Schmitt. Dass Europa als Einheit bestehen muss, steht für die Drei außer Frage. Die weltpolitische Lage mache das erforderlich. Schmitt verweist dabei auf Putins Politik in Russland, der „das Rad der Geschichte zurückdrehen wolle“. Auch im Hinblick auf die USA sei Vorsicht geboten. Nach der Wahl von Donald Trump als Präsident könnte sich die USA eher auf ihr nationales Wohl konzentrieren. Vor dieser großpolitischen Gemengelage sei es deshalb mehr als erforderlich, dass Europa mit einer Stimme spreche. mei"