Im Jahr 2019 würden beim Amtsgericht Frankfurt bis zu 16.000 Reisesachen eingehen, wobei es sich in aller Regel um Fluggastsachen nach der FluggastrechteVO wegen Verspätungen und Flugausfällen handelt. Dies führe zu Problemen im Geschäftsbetrieb. Die Belastungsquote liege derzeit bei circa 200 Prozent des nach dem Personalbemessungssystem vorgesehenen Personalschlüssels. Es bildeten sich insbesondere auf den Geschäftsstellen gegenwärtig erhebliche Rückstände. Die Verfahrenslaufzeiten stiegen dadurch bereits an.
"Überdurchschnittlich viele Verfahren enden ohne sachliche Auseinandersetzung zum Grund der Flugstörung mit einem Anerkenntnisurteil, einer Klagerücknahme, einer übereinstimmenden Erledigungserklärung oder einem Urteil, dem keine Verteidigung gegen den Anspruch vorangegangen ist", so Johannes Schmidt, Sprecher des Landesverbandes Hessen des Deutschen Richterbundes. Dies führe aber bei der Dezernatsarbeit und der Aktenverwaltung auf der Geschäftsstelle und im Kostenfestsetzungsverfahren zu keiner ausreichenden Entlastung. Die hohe Zahl rechtlich einfach strukturierter Verfahren bedeute einen großen Aktenverwaltungsaufwand. Darunter leide auch die Arbeitszufriedenheit der Kolleginnen und Kollegen, da die eigentliche Rechtsfindung merklich zugunsten einer bloßen Fallverwaltungstätigkeit zurückgeht.
Nur 15 bis 20 Prozent der Fälle werden zur Erstattung angemeldet
Nach Schätzungen informierter Beteiligter aus dem Inkassobereich würden derzeit nur 15 bis 20 Prozent der bestehenden Ansprüche überhaupt bei den Fluggesellschaften zur Erstattung angemeldet. Es handele sich aber um einen wachsenden Markt. Die Inkassounternehmen bewerben ihr Angebot "aktiv und erfolgreich in allen Medien". Zudem schreite die Entwicklung der computerisierten Fallbearbeitung stetig fort. Auch die Anzahl der weltweiten Flugbewegungen nehme trotz Klimadebatte kontinuierlich zu. Es sei daher abzusehen, dass mit einer weiteren Zunahme der gerichtlichen Verfahren zu rechnen sei, selbst wenn singuläre Ereignisse wie die außergewöhnlich hohe Zahl von Verspätungen und Ausfällen wie im Jahr 2018 künftig vermieden werden könnten.
Bagatellverfahren gehen zulasten wichtigerer Aufgaben
Der Richterbund Hessen befürchte, dass die hohe Zahl solcher unstreitig bleibender Bagatellverfahren zulasten wichtigerer rechtsstaatlicher Aufgaben der Amtsgerichte in der Zivilrechtspflege, aber auch – bedingt durch mögliche Personalverlagerungen – in der sicherheitspolitisch bedeutenden Strafrechtspflege und den grundrechtssensiblen Bereichen des Familienrechts und des Betreuungsrechts gehen könnte. Es gelte zudem zu vermeiden, dass die Attraktivität des amtsrichterlichen Dienstes leiden werde und die ohnehin angespannte Nachwuchssituation auf allen Ebenen des Justizdienstes sich weiter verschärfe.
Zunächst sei durch erhebliche Personalaufstockung sicherzustellen, dass die Funktionsfähigkeit der amtsgerichtlichen Zivilrechtspflege erhalten bleibe. Solche Maßnahmen stoßen jedoch an Grenzen, die in der engen Raumsituation und den endlichen Möglichkeiten der Gewinnung geeigneten Personals, insbesondere im durch Personalwettbewerb geprägten Rhein-Main-Gebiet, begründet sind.
Lösung des Problems nur mit dem Gesetzgeber
Aus Sicht des Richterbundes könne eine nachhaltige Lösung des Problems, abgesehen von privatautonomen Klagevermeidungsabkommen der beteiligten Unternehmen, nur auf der Ebene des Gesetzgebers gefunden werden. Artikel 16 Absatz 3 der FluggastrechteVO sehe nämlich vor, dass die von den Mitgliedstaaten für Verstöße gegen die Fluggastrechteverordnung festgelegten Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssten. Angesichts der Vielzahl der in der Sache unstreitig bestehenden aber außergerichtlich nicht erfüllten Ansprüche und der weit überwiegenden Zahl stattgebender Entscheidungen dürfte der damit geforderte Rechtsstand noch nicht erreicht sein.
Nur umstrittene Fälle sollen Weg zu den Gerichten finden
Ziel gesetzgeberischer Initiative sollte laut Richterbund sein, dass im Regelfall nur rechtlich umstrittene Fälle, die einer berufsrichterlichen Sachentscheidung und des Einsatzes der knappen staatlichen Ressourcen wirklich bedürfen, zu den Gerichten gelangen. Unstreitig entschädigungspflichtige Flugstörungen müssen außergerichtlich reguliert werden. Die Zivilrechtspflege sei mit der gestellten Aufgabe jedenfalls überfordert. Der Richterbund Hessen rege daher an, dass geprüft werde, ob die bisher bestehenden Möglichkeiten der Verhängung von Bußgeldern ausreichend seien, oder ob es – vergleichbar im Kartell-, Bank- oder Versicherungsrecht – effektiver Bußgeldhöhen bedürfe, die sich am Gesamtumsatz der betroffenen Luftfahrtunternehmen orientieren und die den wirtschaftlichen Vorteil des Gesamtaufkommens einer zögerlichen Entschädigungspolitik abschöpfen beziehungsweise ein Mehrfaches davon betragen.
Weitere Modelle der Sanktionierung prüfen
Darüber hinaus sollten weitere Modelle der Sanktionierung geprüft werden und gegebenenfalls kurzfristig auf den Weg der Gesetzgebung gebracht werden wie zum Beispiel die Einführung einer automatischen Entschädigung oder die Verpflichtung der Luftfahrtunternehmen zu einem Anspruchsmanagement, das eine zeitnahe Auszahlung durch geeignete Verfahren und Vorkehrungen sicherstelle. Auch die Ausweitung der Musterfeststellungsklage betreffend verspätete oder ausgefallene Verbindungen sollte erwogen werden. Unabhängig davon sollten feststellbar systematisch verzögernde Entschädigungspraktiken daraufhin untersucht werden, ob sie negative Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bestimmter Luftfahrtunternehmen zulassen und ob die vom Lauterkeitsrecht gesetzten Grenzen geschäftlichen Handelns gewahrt sind. mei, pm