Vor allen der Nahverkehr in Paris ist betroffen. Frankreichs Umwelt- und Verkehrsministerin Élisabeth Borne hat die Angestellten der Verkehrsbetriebe jetzt aufgefordert, ihren Streik gegen die geplante Rentenreform zu beenden. Sie denke vor allem an Menschen, die von den Verkehrsbehinderungen und dem damit verbundenen Stress betroffen seien.
Dass sich der Streik möglicherweise bis Weihnachten ziehen könnte, nannte Borne „unverantwortlich“. von den Gewerkschaften. Sie forderte deshalb eine Rückkehr an den Verhandlungstisch. Das dürfte nicht so einfach sein. „Die Gewerkschaften haben die Streiks und die Großdemonstrationen bewusst vor die Bekanntgabe der Details der geplanten Rentenreform gelegt, um gegenüber der Regierung ein klares Zeichen zu setzen und Druck aufzubauen“, sagt Nino Galetti, Pariser Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung im Gespräch mit dieser Zeitung.
Die entscheidende Machtprobe
Ob diese Strategie erfolgreich sein wird, bezweifelt Stefan Seidendorf. „Für die Gewerkschaften, die zum Streik aufgerufen haben (nicht alle sind dabei), geht es um alles oder nichts, um eine entscheidende Machtprobe“, so der stellvertretende Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg. Insgesamt nehme die gesellschaftliche Macht der Gewerkschaften nämlich seit vielen Jahren ab. Die Franzosen seien nur noch in einer kleinen Minderheit gewerkschaftlich organisiert, sagt Seidendorf.
Die Rentenreform ist notwendig
Dass die Rentenreform notwendig sei, darüber sind sich Galetti und Seidendorf einig. „Das französische Rentensystem ist reformbedürftig. Das sehen auch über 70 Prozent der Franzosen so. Staatspräsident Macron hatte schon vor seiner Wahl 2017 angekündigt, das gegenwärtige System aus 42 Kassen in eine Einheitskasse zu überführen“, erläutert Galetti.
Generell sei das französische Rentensystem sehr unübersichtlich und häufig sehr ungerecht. So könne ein Busfahrer in Paris wesentlich früher und mit höheren Bezügen in Rente gehen, als einer in der nordfranzösischen Stadt Amiens, ohne dass klar ersichtlich wäre, warum dies so sei. „Das ist eines der Lieblingsbeispiele Präsident Macrons, um die Notwendigkeit einer Reform zu begründen“, sagt Seidendorf.
Punktesystem Grundlage der Rentenberechnung
Künftig soll, ähnlich wie in Deutschland ein Punktesystem die Grundlage für die Rentenberechnung sein. Ziel sei es, dass die Finanzierung der Rente gerechter und zukunftsfester werde. Für jeden eingezahlten Euro sollen alle Rentner künftig denselben Betrag erhalten. Da Frankreich nach wie vor eine günstigere Demographie als Deutschland habe und die jungen Französinnen im Schnitt immer noch zwei Kinder bekommen, sei das Alterungsproblem aber geringer als in Deutschland, so Seidendorf. Dennoch rechne der Rentenrat, Frankreichs unabhängiges Beratergremium, im Jahr 2050 mit 7,5 bis 15 Milliarden Euro Defizit in der Rentenkasse, es bestehe also durchaus Handlungsbedarf für eine Reform.
Öffentlicher Dienst fürchtet um seine Privilegien
„Dass derzeit aber so viele Arbeitnehmer dem Streikaufruf folgen, hat damit zu tun, dass insbesondere die im öffentlichen Dienst Beschäftigten um ihre bisherigen Privilegien bangen und Nachteile befürchten“, so Galetti. Diese Verunsicherung sei auch dadurch gestiegen, dass die Regierung lange keine Details zur Rentenreform bekanntgegeben habe.
Gewerkschaftslager geht ein sehr hohes Risiko ein
Wie lange wird der Streik noch anhalten? „Schwer zu sagen. Das Gewerkschaftslager scheint sehr gut organisiert, geht aber ein hohes Risiko ein. Wenn es Macron gelingt, die reformwillige und in die Diskussionen eingebundene CFDT bei der Stange zu halten, kann er durchaus zu einem Erfolg kommen“, so Seidendorfs Einschätzung. Dazu müsse Macron insbesondere den Aspekt der Vereinfachung und Angleichung des Rentensystems in den Mittelpunkt stellen, und dabei möglichst auf eine Verschiebung des Renteneintrittsalters oder eine Verlängerung der Beitragsjahre verzichten.
Für Galetti muss sich die französische Regierung letztlich die Frage stellen, was ist der Bevölkerung zuzumuten, was nicht? Ziel der Regierung sei es, die Rentenreform umzusetzen und zu einem Erfolg zu machen – nicht zuletzt in Hinblick auf die nächsten Wahlen. mei
English version
France is not getting any peace: Full metros, only a few buses in use and a TGV in isolated cases: The strikes of the trade unions against Emmanuel Macron's pension reform continue. France's Environment and Transport Minister Élisabeth Borne has now called on the employees of the transport companies to end their strike against the planned pension reform. She is thinking above all of people who are affected by the traffic obstructions and the associated stress.
Borne called it "irresponsible" of the trade unions that the strike could possibly last until Christmas. She therefore called for a return to the negotiating table. That should not be so easy. "The trade unions deliberately placed the strikes and the large-scale demonstrations before the announcement of the details of the planned pension reform in order to send a clear signal to the government and to build up pressure," says Nino Galetti, Paris office manager of the Konrad Adenauer Foundation in an interview with this newspaper.
The decisive showdown
Stefan Seidendorf doubts whether this strategy will be successful. "For the trade unions that have called for a strike (not everyone is there), it is all or nothing, a decisive showdown," said the deputy director of the Franco-German Institute in Ludwigsburg. All in all, the social power of the trade unions has been declining for many years. The French are now only organised in a small minority, says Seidendorf.
Pension reform is necessary
Galetti and Seidendorf agree that the pension reform is necessary. "The French pension system is in need of reform. More than 70 percent of French people agree. Even before his election in 2017, President Macron had announced that he would transfer the current system from 42 funds to a single fund," explains Galetti.
In general, the French pension system is very confusing and often very unfair. For example, a bus driver in Paris could retire much earlier and with higher salaries than one in the northern French city of Amiens, without it being clear why. "This is one of President Macron's favourite examples to justify the need for reform," says Seidendorf.
Points system Basis for pension calculation
In the future, similar to Germany, a points system will be the basis for calculating pensions. The goal is to make the financing of pensions fairer and more sustainable. In future, all pensioners will receive the same amount for every euro paid in. Since France still has a more favourable demography than Germany and the young French women still have two children on average, the ageing problem is lower than in Germany, Seidendorf said. Nevertheless, the Pension Council, France's independent advisory body, expects a deficit of 7.5 to 15 billion euros in the pension fund in 2050, so there is definitely a need for reform.
Public service fears for its privileges
"But the fact that so many workers are currently responding to the strike call has to do with the fact that public sector workers in particular are worried about their previous privileges and fear disadvantages," Galetti said. This uncertainty had also increased because the government had not announced any details of the pension reform for a long time.
Trade unions takes a very high risk
How long is the strike going to last? "Hard to say. The union camp seems very well organised, but takes a high risk. If Macron succeeds in keeping the CFDT, which is willing to reform and is involved in the discussions, he can certainly succeed," Seidendorf says. To this end, Macron must focus in particular on the aspect of simplifying and harmonising the pension system and, if possible, refrain from postponing the retirement age or extending contribution years.
For Galetti, the French government must ultimately ask itself the question of what can be expected of the population and what not. The government's aim is to implement the pension reform and make it a success - not least in view of the next elections. mei