Zweifel an der Reformfähigkeit von Frankreich

"Das Paradoxe ist, dass man den Eindruck haben kann, dass Frankreich nicht reformierbar ist. Vielen Franzosen sind diese Probleme bewusst, auch die Notwendigkeit, länger arbeiten zu müssen und später in Rente gehen zu dürfen", kommentierte Müller in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" die Proteste der Gelbwesten und die Demonstrationen gegen die Rentenreform des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

 

Dabei äußerte Müller Verständnis für die seiner Meinung nach eigentliche Bedeutung der Massenproteste. "Es geht eher um eine Revolte gegen eine elitäre Führungsschicht und deren Stil der Kommunikation. Im Hintergrund steht die Abneigung gegen die Verwaltungshierarchie und eine Elite, die die Bedürfnisse der Menschen und deren soziale Nöte gar nicht kennt", sagte Müller weiter zu den Protesten. 

 

Zunehmendes Desinteresse am anderen Land

 

Der Kunsthistoriker konstatierte weiter im Verhältnis der Deutschen und Franzosen ein zunehmendes Desinteresse für das jeweils andere Land. "Ich sehe eine schwindende Zahl von Jugendlichen und Studierenden, die sich vital für Frankreich interessieren. Ich weiß nicht, woher diese Indifferenz kommt. Womöglich liegt eine Gefahr darin, dass Frankreich oft als ein Museumsland wahrgenommen wird, das mit kulturellen Gipfelleistungen punktet", analysierte der Museumschef, der über exzellente Kontakte in die französische Kulturszene verfügt und zuletzt den französischen Multimillionär und Kunstsammler François Pinault bei seinen Ankäufen beriet. "Umgekehrt sehe ich kein sehr lebendiges Verhältnis der Franzosen zu uns. In der französischen Presse werden wir immer als die unbeliebten Musterschüler Europas gesehen", sagte Müller. Er sehe eine "seltsame Gleichgültigkeit" zwischen Deutschen und Franzosen. 

 

Kulturell weiter an den Franzosen orientieren

 

Zugleich empfiehlt Markus Müller den Deutschen, sich kulturell weiter an den Franzosen zu orientieren. Das gelte vor allem für die Alltagskultur. "Die Franzosen gestalten ihren Alltag ästhetischer als die Deutschen, ihr Leben ist von einem gewissen Sinn für Schönheit geprägt. Das fängt bei der Wohnungseinrichtung an und geht bis zur Esskultur. Kultur ist in Frankreich weiter gefasst als bei uns. Sie ist kein Reservat, auch nicht museal. Auch das eigene Haus ist Kultur", beschrieb Müller die Rolle der Kultur im Alltag der Franzosen. Der Museumschef hob zugleich das besondere Verhältnis der Franzosen zu ihrer Geschichte hervor. "Sie haben keinen Bruch mit ihrer Geschichte. Sie sind stolz auf Tradition und Historie, von der sie sich ableiten. Sie ruhen damit mehr in sich", zog der Münsteraner Museumschef den Vergleich mit Deutschland und den Deutschen. pm, ots

 

English version

 

The director of the Münster Art Museum Pablo Picasso, Markus Müller, has expressed doubts about France's ability to reform. "The paradox is that one can have the impression that France is not reformable. Many French people are aware of these problems, including the necessity of having to work longer and being allowed to retire later," Müller commented in an interview with the "Neue Osnabrücker Zeitung" on the protests of the yellow vests and the demonstrations against the pension reform of French President Emmanuel Macron.

 

Müller expressed understanding for the actual significance of the mass protests in his opinion. "It's more about a revolt against an elitist ruling class and its style of communication. In the background there is an aversion to the administrative hierarchy and an elite that does not even know the needs of the people and their social hardships," Müller went on to say about the protests. 

 

Growing disinterest in the other country

 

The art historian also noted an increasing disinterest in the relationship between the Germans and the French for the respective other country. "I see a dwindling number of young people and students taking a vital interest in France. I don't know where this indifference comes from. Perhaps there is a danger in the fact that France is often perceived as a museum country that scores with cultural achievements at the highest level," analysed the museum director, who has excellent contacts in the French cultural scene and recently advised the French multimillionaire and art collector François Pinault on his acquisitions. "Conversely, I do not see the French having a very lively relationship with us. In the French press we are always seen as the unpopular model pupils of Europe," said Müller. He saw a "strange indifference" between Germans and French. 

 

Continuing to orientate culturally towards the French

 

At the same time, Markus Müller recommends that Germans continue to orient themselves culturally towards the French. This applies above all to everyday culture. "The French shape their everyday life more aesthetically than the Germans, their lives are characterized by a certain sense of beauty. This starts with home furnishings and goes all the way to eating culture. Culture in France is broader than in Germany. It is not a reserve, not even a museum. Even your own home is culture," Müller described the role of culture in the everyday life of the French. At the same time, the museum director emphasized the special relationship of the French to their history. "They have no break with their history. They are proud of tradition and history from which they derive. They rest more in themselves," said the head of the museum in Münster, drawing a comparison with Germany and the Germans. pm, ots, mei