Die große Mehrheit der als systemrelevant definierten Berufe weist jedoch außerhalb von Krisenzeiten ein geringes gesell-schaftliches Ansehen sowie eine unterdurchschnittliche Bezahlung auf. Darüber hinaus zeigt sich, dass systemrelevante Berufe mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden.
Die Diskrepanz zwischen
gesellschaft-licher Unverzichtbarkeit und tatsächlicher Entlohnung – gemessen am Stundenlohn und beruflichem Prestige – ist in Krisenzeiten besonders offensichtlich. Deshalb sollten auf kollektive Dankbarkeit konkrete Maßnahmen folgen, beispielsweise eine höhere Entlohnung sowie breitere tarifvertragliche Absicherung. Das würde dazu beitragen, die Arbeitsbedingungen und Attraktivität der systemrelevanten Berufe erheblich zu verbessern. Gleichzeitig könnte damit auch der Gender Pay Gap, also die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern, reduziert werden.
Ein historischer Ausnahmezustand
Die Corona-Pandemie versetzt die Welt aktuell in einen historischen Ausnahmezustand mit noch unabsehbaren Folgen für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Während für den Großteil der Bevölkerung diverse Krisenmaßnahmen die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit erheblich einschränken, sind bestimmte Berufsgruppen davon gänzlich ausgenommen. Gemeint sind Berufe, die aktuell als systemrelevant bezeichnet und als unerlässlich für das Funktionieren der Gesellschaft definiert werden. Oft ist die Rede von „den wahren Helden der Krise“, auf deren Arbeit gerade jetzt nicht verzichtet werden könne.
Großer Fokus der systemrelevanten Berufe
Wer beispielsweise im Gesundheitswesen tätig ist, hat in diesen Tagen Anspruch auf eine Notbetreuung der eigenen Kinder, die andernfalls zuhause betreut werden müssten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in ihrer Ansprache an die Bevölkerung jedoch explizit nicht nur an Ärztinnen und Ärzte sowie sonstiges medizinisches Personal gewandt, sondern auch Menschen an Supermarktkassen angesprochen, die derzeit „buchstäblich den Laden am Laufen halten“. Das Spektrum der Berufe, die als unverzichtbar für den Erhalt kritischer Infrastruktur eingeordnet werden, geht weit über die häufig im Fokus stehenden Berufe im Gesundheitssektor hinaus und reicht von Erziehungs- über Reinigungsberufe bis hin zu Berufen im Polizei- und Justizbereich.
Geringe Wertschätzung von systemrelevanten Berufen
außerhalb von Krisenzeiten
Die Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft auf das Ausüben bestimmter Berufe
mehr angewiesen ist als auf andere, scheint vor allem in Krisenzeiten besonders präsent. Betrachtet man die Bewertung des gesellschaftlichen Ansehens der verschiedenen systemrelevanten Berufsgruppen außerhalb von Krisenzeiten, zeigt sich eine überwiegend unterdurchschnittliche Wertschätzung dieser Tätigkeiten: Dies kann mittels der speziell für Deutschland entwickelten „Magnitude Prestige Skala“ (MPS) gemessen werden. Diese beruht auf repräsentativen Befragungen und misst für verschiedene berufliche Tätigkeiten das „Ansehen, das heißt wie sehr Leute mit diesen Berufen in unserer Gesellschaft heute geachtet werden“. Sie kann somit als Maß der allgemeinen Anerkennung und des von Sondersituationen unabhängigen Prestiges von Berufen verstanden werden.
Geringeres Prestige als der Gesamtdurchschnitt
Zusammen betrachtet weisen die systemrelevanten Berufsgruppen ein um rund fünf Punkte geringeres Prestige auf als der Gesamtdurchschnitt aller Berufe, der bei 63 von 200 maximal möglichen Punkten liegt. Besonders auffällig ist das geringe Ansehen für Reinigungsberufe, aber auch für Berufe im Bereich Post und Zustellung sowie für FahrzeugführerInnen im Straßenverkehr. Überdurchschnittlich angesehen sind hingegen Human- und ZahnmedizinerInnen, die mit 194 Prestigepunkten fast das Maximum der Skala erreichen. Ebenfalls ein überdurchschnittliches Prestige erfahren pharmazeutische Berufe und Berufe der IT-Infrastruktur sowie Berufe, die im technischen Betrieb des Eisenbahn-, Luft- und Schiffsverkehrs angesiedelt sind.
Arzt- und Praxishilfen nur unterdurchschnittlich angesehen
Bezeichnend ist, dass diese Untergruppen mit überdurchschnittlichem beruflichem Stellenwert nur einen sehr kleinen Teil (weniger als fünf Prozent) aller Personen ausmachen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten. Dass diese Berufsgruppen ein überdurchschnittlich hohes Ansehen genießen, lässt sich nicht ausschließlich mit dem jeweiligen Tätigkeitsbereich erklären. So sind beispielsweise Arzt- und Praxishilfen, obwohl sie ebenfalls zum Gesundheitswesen gehören, nur unterdurchschnittlich angesehen (52 Prestigepunkte).
Berufsgruppen bekommen eine geringe Anerkennung
In aktuellen Zeiten wird darüber hinaus besonders deutlich, was die MPS-Skala nicht abbilden kann: Ärztinnen und Ärzte könnten ihrer gesellschaftlich bereits hoch anerkannten Tätigkeit kaum oder nur sehr limitiert nachkommen, wenn der gereinigte Behandlungsraum und die Begleitung und Nachsorge durch Pflegepersonal fehlen würden. Diese Leistungen werden von Berufsgruppen erbracht, die nur eine geringe Anerkennung erfahren.
Lohnniveau in systemrelevanten Berufen ist unterdurchschnittlich
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Entlohnung. So wird ein Großteil der Beschäftigten in systemrelevanten Berufen unterdurchschnittlich bezahlt. Während der durchschnittliche Bruttostundenlohn aller Berufe bei 19 Euro liegt, weisen systemrelevante Berufe zusammengenommen einen mittleren Stundenlohn von unter 18 Euro auf und liegen damit rund sieben Prozent unterhalb des Durchschnitts. Zudem sind die Löhne insbesondere in jenen Berufen unterdurchschnittlich, in denen ein hoher Anteil der systemrelevanten ArbeitnehmerInnen tätig ist (beispielsweise Reinigungsberufe, Lagerwirtschafts-, Post- und Zustellungs-, Güterumschlagberufe sowie Erziehungs-, Sozialarbeits- und Heilerziehungsberufe).
Ausnahme sind Verwaltungsberufe
Eine Ausnahme stellen Verwaltungsberufe dar. Diese Berufsgruppe ist jedoch sehr heterogen und umfasst auch einige Beschäftigte, die nicht zur kritischen Infrastruktur gehören. Jene Berufsgruppen, die systemrelevant sind und überdurchschnittlich gut verdienen, machen nur einen kleinen Teil der ArbeitnehmerInnen in systemrelevanten Berufen aus: Personen, die beispielsweise in der Überwachung und Steuerung des Verkehrsbetriebs arbeiten, umfassen weniger als ein Prozent aller systemrelevanten Berufszugehörigen. Human- und ZahnmedizinerInnen sowie Personen in IT-Berufen, die deutlich überdurchschnittlich verdienen, machen ebenfalls nur jeweils ein Prozent aus. Insgesamt lässt sich feststellen, dass über 90 Prozent der Beschäftigten in Berufen, die aktuell der kritischen Infrastruktur zugeordnet werden, nur einen unterdurchschnittlichen Lohn bekommen. pm, diw
Quelle: DIW aktuell von Aline Zucco, Claire Samtleben, Annekatrin Schrenker, Josefine Koebe
English version
In times of the corona crisis, it becomes clear that certain professional groups and areas of public and social life are systemically relevant. These include, for example, health care, internal security, basic and food supply, emergency childcare or the maintenance of transport and IT infrastructure. However, the vast majority of the occupations defined as systemically relevant have a low social standing and below-average pay outside times of crisis. Furthermore, it is shown that systemically relevant occupations are mostly performed by women.
The discrepancy between social indispensability and actual remuneration - measured by hourly wage and professional prestige - is particularly obvious in times of crisis. Collective gratitude should therefore be followed by concrete measures, such as higher pay and broader collective bargaining coverage. This would help to significantly improve the working conditions and attractiveness of systemically important professions. At the same time, it would also reduce the gender pay gap, i.e. the earnings gap between women and men.
A historic state of emergency
The corona pandemic is currently placing the world in a historical state of emergency with as yet unforeseeable consequences for society, politics and the economy. While for the majority of the population, various crisis measures are considerably restricting the exercise of their professional activities, certain professional groups are completely excluded. This refers to professions that are currently described as systemically relevant and defined as indispensable for the functioning of society. There is often talk of "the true heroes of the crisis", whose work cannot be dispensed with at this particular time.
Large focus of systemically relevant occupations
For example, people working in the health sector are entitled to emergency care for their own children these days, who would otherwise have to be looked after at home. In her address to the population, however, Chancellor Angela Merkel explicitly addressed not only doctors and other medical staff, but also people at supermarket checkouts who are currently "literally keeping the shop running". The spectrum of professions classified as indispensable for the maintenance of critical infrastructure goes far beyond the professions in the health sector, which are often the focus of attention, and ranges from educational and cleaning professions to professions in the police and justice sector.
Low appreciation of systemically important professions out of crisis
The recognition that our society is dependent on the exercise of certain professions is more dependent than on others, seems particularly present in times of crisis. If one looks at the evaluation of the social standing of the various systemically important occupational groups outside times of crisis, one finds that these activities are generally valued below average: This can be measured by means of the "Magnitude Prestige Scale" (MPS) developed especially for Germany. This scale is based on representative surveys and measures the "prestige, i.e. the extent to which people with these occupations are respected in our society today" for various occupational activities. It can thus be understood as a measure of the general recognition and prestige of professions, independent of special situations.
Lower prestige than the overall average
Taken together, the system-relevant occupational groups have a prestige that is around five points lower than the overall average for all occupations, which is 63 out of a maximum of 200 possible points. Particularly striking is the low prestige for cleaning occupations, but also for occupations in the postal and delivery sector and for drivers in road transport. Humanities and dentistry, on the other hand, have an above-average reputation, with 194 prestige points, almost the maximum on the scale. Also of above-average prestige are pharmaceutical professions and professions in IT infrastructure as well as professions in the technical operation of rail, air and sea transport.
Physician and medical practice assistants only considered below average
It is significant that these subgroups with above-average occupational status account for only a very small proportion (less than five percent) of all people working in systemically important occupations. The fact that these occupational groups enjoy an above-average reputation cannot be explained exclusively by the respective field of activity. For example, physicians and medical practice assistants, although they also belong to the health care system, have only a below-average reputation (52 prestige points).
Professional groups receive little recognition
In addition, in current times it becomes particularly clear what the MPS scale cannot display: Doctors could hardly or only to a very limited extent be able to carry out their work, which is already highly recognised in society, if the cleaned treatment room and the support and aftercare by nursing staff were missing. These services are provided by professional groups that receive only limited recognition.
Wage levels in systemically important professions are below average
A similar picture emerges with regard to remuneration. A large proportion of employees in systemically important occupations are paid below average. While the average gross hourly wage of all occupations is 19 euros, systemically important occupations together have an average hourly wage of less than 18 euros, which is about seven percent below the average. Moreover, wages are below average especially in those occupations in which a high proportion of systemically important workers are employed (e.g. cleaning occupations, inventory management, postal and delivery services, goods handling occupations as well as educational, social work and curative care occupations).
Exceptions are administrative occupations
Administrative professions are an exception. However, this occupational group is very heterogeneous and also includes some employees who are not part of the critical infrastructure. Those occupational groups that are systemically relevant and earn above-average wages make up only a small part of the employees in systemically relevant occupations: Persons who work, for example, in the monitoring and control of transport operations comprise less than one percent of all systemically relevant occupational groups. Human physicians and dentists as well as people in IT professions, who earn well above average, also account for only one percent each. Overall, it can be seen that over 90 percent of employees in occupations currently assigned to critical infrastructure only receive below-average wages. pm, diw, mei
Source: DIW aktuell by Aline Zucco, Claire Samtleben, Annekatrin Schrenker, Josefine Koebe