Studie: Corona-Tests sind zu selektiv, um auf die gesamte Infektionszahl zu schließen

Nutzen und Kosten einer möglichen Lockerung der einschränkenden Maßnahmen können allerdings nur dann sinnvoll betrachtet werden, wenn die Zahl der Erkrankten und die aktuelle Infektionsge-schwindigkeit bekannt sind. Gleichermaßen benötigen die Gesundheitssysteme in Deutschland und Europa Informationen über die Ausbreitung der Epidemie, um Kapazitäten anzupassen und die Versorgung der Patienten sicherzustellen.

 

Die Entscheidungskriterien, welche Menschen getestet werden, sind in den europäischen Ländern, aber auch innerhalb Deutschlands sehr unterschiedlich. Die derzeit verfügbaren Informationen zu den getesteten Personen sind unzureichend – und damit keine angemessene Grundlage für informierte politische Entscheidungen.

 

Repräsentative Stichproben unabdingbar

 

Für die Umsetzung von politischen Maßnahmen, die auf Infektionszahlen basieren, sind repräsentative Stichproben unabdingbar. Wenn Testergebnisse zu Aussagen über die tatsächliche Infektionszahl und die Infektionsgeschwindigkeit führen sollen, muss die Selektivität von diagnostischen Tests korrigiert werden.

 

Unterschiedliche Lösungsansätze sind bekannt

 

In der empirischen ökonomischen Literatur sind unterschiedliche Lösungsansätze bekannt. Häufig sind Informationen über verpasste Diagnosen entscheidend, also über Patienten, die erkrankt sind, ohne auf die Erkrankung getestet zu werden. Anderenfalls ist eine Randomisierung von Patienten auf Testungen nötig.

 

Bedauerliche Aussage des Robert-Koch-Insituts

 

Es ist bedauerlich, dass die Leitung des Robert Koch-Instituts die Aussage trifft, repräsentative Studien mit randomisierten Testungen seien „nicht sehr zielführend“, da in Deutschland großflächig getestet werde. Aufgrund der Selektivität der Tests ist es unerheblich, wie groß die Stichprobenzahl ist, solange Testressourcen begrenzt sind. Auch die Testung von Proben freiwilliger Blutspender ist problematisch, da es sich bei ihnen um eine hochselektierte Gruppe handelt.

 

Zeitnahe Aussagen über die Verbreitung der Epidemie treffen

 

Nur bei regelmäßig wiederholten, auf regionaler Ebene randomisierten Stichproben können zeitnah Aussagen über die tatsächliche Entwicklung der Epidemie getroffen und von Unterschieden in den Teststrategien getrennt werden. Regionale und bundesweite randomisierte Antikörperstudien, wie sie das Robert Koch-Institut derzeit plant, helfen zwar, die lokale Immunität einzuschätzen. Zur Bewertung von Maßnahmen und für die Verteilung von Ressourcen im Gesundheitswesen sind aber auch Informationen über die tatsächliche Zahl aktiver Infektionsfälle nötig. Hierbei könnten zum Beispiel vorhandene Ressourcen innerhalb des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) als repräsentative Bevölkerungsstichprobe genutzt werden. Eine Kombination von Befragungen und medizinischer Testungen hätte zudem den Vorteil, dass gesundheitliche Verläufe ebenso wie kurz- und langfristige sozio-ökonomische Kosten der Krise gemessen werden könnten.

 

Verbesserungen in der Datenerhebung erforderlich

 

Zusätzlich sind Verbesserungen in der Datenerhebung und -vermittlung von Informationen zu diagnostischen Testungen wünschenswert. Mehr denn je ist daher auch eine Digitalisierung des Gesundheitssektors nötig, um mit den Informationen zum Infektionsgeschehen eine fundierte und transparente Grundlage für politische Entscheidungen zu schaffen. Eine Orientierung bietet beispielsweise Island: Dort werden die täglichen Testzahlen erhoben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht; zudem wird zumindest teilweise randomisiert getestet.

pm, diw, Autor: Shan Huang

 

English version

 

At the latest since the end of March, the corona crisis has finally arrived in Germany. It is still unclear, however, to what extent the official number of cases reflects the actual development of the epidemic, according to experts from the German Institute for Economic Research (DIW), but the benefits and costs of a possible relaxation of the restrictive measures can only be meaningfully considered if the number of people affected and the current rate of infection are known. Similarly, the health care systems in Germany and Europe need information on the spread of the epidemic in order to adjust capacities and ensure patient care.

 

The criteria for deciding which people to test differ greatly in the European countries, but also within Germany. The currently available information on the people tested is insufficient - and thus not an adequate basis for informed political decisions.

 

Representative samples indispensable

 

Representative samples are essential for the implementation of political measures based on infection figures. If test results are to provide information on the actual number and rate of infection, the selectivity of diagnostic tests must be corrected.

 

Different approaches are known

 

Various approaches to solutions are known in the empirical economic literature. Frequently, information about missed diagnoses is crucial, i.e. about patients who have fallen ill without being tested for the disease. Otherwise, randomisation of patients to tests is necessary.

 

Regrettable statement of the Robert Koch Institute

 

It is unfortunate that the management of the Robert Koch Institute says that representative studies with randomised testing are "not very effective", as testing is carried out on a large scale in Germany. Due to the selectivity of the tests, it is irrelevant how large the sample size is, as long as test resources are limited. The testing of samples from voluntary blood donors is also problematic, as they are a highly selected group.

 

Making timely statements about the spread of the epidemic

 

Only with regularly repeated randomized samples at regional level can timely statements be made about the actual development of the epidemic and separated from differences in testing strategies. Regional and nationwide randomised antibody studies, such as those currently planned by the Robert Koch Institute, do indeed help to assess local immunity. However, information on the actual number of active cases of infection is also necessary for the evaluation of measures and the distribution of resources in the health care system. For example, existing resources within the Socio-Economic Panel (SOEP) could be used as a representative population sample. A combination of surveys and medical testing would also have the advantage of measuring health outcomes as well as short and long-term socio-economic costs of the crisis.

 

Improvements in data collection needed

 

In addition, improvements in data collection and dissemination of information on diagnostic tests are desirable. More than ever before, therefore, the health care sector needs to be digitised in order to provide a sound and transparent basis for political decisions based on information on the occurrence of infections. Iceland, for example, offers an orientation: there, the daily test numbers are collected and made available to the public; in addition, at least part of the tests are randomised.

pm, diw, Author: Shan Huang