Wie ein Sportjournalist an der Corona-Soforthilfe verzweifelte

Herr Kötter, wie stellte sich Ihre berufliche Situation mit Beginn der Corona-Krise dar?

 

ANDREAS KÖTTER: Ich arbeite seit 26 als freier Journalist, in den vergang-enen Jahren für verschiedene Auftraggeber vor allem im Bereich Fußball-Bundesliga. Zudem schreibe ich für einige kleinere Verlage über Autos, Motorräder und Pop-Kultur.

 

Welche Einnahmen brachen im Laufe der Krise für Sie weg?

 

KÖTTER: Der Großteil meiner Einnahmen generiert sich aus Interviews mit den Protagonisten der Fußball-Bundesliga. Ohne den Spielbetrieb und da sich Spieler und Verantwortliche in den ersten Wochen der Krise einen Maulkorb verpasst hatten, brachen mir diese Einnahmen komplett weg. Zudem stoppten die genannten kleineren Verlage verabredete Projekte zumindest einmal vorübergehend, da auch ihnen regelmäßige Einnahmen, etwa durch Werbeanzeigen, weggebrochen sind.

 

Wann stellten Sie den Antrag auf Soforthilfe?

 

KÖTTER: Am 27. März stellte ich den Antrag, am 28. März erreichte mich eine E-Mail über die Bewilligung von 9.000 Euro für die kommenden drei Monate. 

 

Die Sofort-Hilfe sollte schnell und unbürokratisch sein. Wie sieht bei Ihnen die Realität aus?

 

KÖTTER: Wie rund 4.000 andere Betroffene, habe ich auch bis heute kein Geld erhalten, obwohl  sich die Verantwortlichen in NRW, wie das Wirtschaftsministerium  und die für die Auszahlung zuständigen Bezirksregierungen mit ihrer „Sofort-Hilfe“ sogar noch brüsten. Ich und viele andere empfinden das längst als blanken Hohn.

 

Welche Gründe sind aus Ihrer Sicht dafür verantwortlich, dass Sie bisher kein Geld bekommen haben?

 

KÖTTER: Die Antragsstellung war ab dem 27. März, etwa 16 Uhr, möglich. Dass es einen enormen Andrang geben würde, war vorauszusehen, wurde aber offensichtlich von den Verantwortlichen nicht berücksichtigt. Die Folge war, dass der Server völlig überfordert war, so dass man immer wieder erneut ansetzen musste, um das Formular hochladen zu können. Die Folgen waren ein heilloses Durcheinander. Ich weiß aus dem Kollegen- beziehungsweise Bekanntenkreis, dass viele gleich mehrere Bewilligungen auf ein und denselben Antrag erhalten haben, in einem Fall waren es gar neun Bewilligungen. Auch ich erhielt zwei Bewilligungen. Der Grund: Der Server legte zum Teil selbstständig so genannte Doubletten an. Da von den Behörden allerdings darauf hingewiesen wurde, dass eine Doppel- oder Mehrfachzahlung technisch gar nicht möglich sei, machte ich mir zunächst keine größeren Gedanken.

 

Wie ging es weiter?

 

KÖTTER: Nachdem ich in den kommenden Tagen von immer mehr, auch mir bekannten Antragstellern hörte beziehungsweise las, die ihren Antrag erst Anfang April gestellt, das Geld dann aber innerhalb von nur 48 Stunden auf dem Konto hatten, wurde ich allmählich skeptisch. Und mit dieser Skepsis war ich nicht alleine. Auf der Facebook-Seite des Wirtschaftsministeriums NRW fanden sich Hunderte von Beiträgen ebenfalls Betroffener, die sich von Tag zu Tag verzweifelter lasen. Stichhaltige Informationen erhielt man von keiner Seite. Weder das Wirtschaftsministerium noch die Bezirksregierungen reagierten auf die etlichen Anfragen mit aussagekräftigen Antworten. Stattdessen wurde man spätestens ab der Osterwoche nur noch mit standardisierten Sätzen wie „Haben Sie noch etwas Geduld und bleiben Sie gesund“ vertröstet. Einige Tage später sollten selbst diese Antworten ausbleiben, die Anschlüsse der jeweiligen Hotlines nicht mehr zu erreichen sein.

 

Was haben Sie unternommen?

 

KÖTTER: Ich versuchte auf verschiedenen Wegen Informationen einzuholen oder wenigstens ein Gefühl für die Verzweiflung der Betroffenen bei den Verantwortlichen zu wecken. Bei vielen war die anfängliche Wut über das Versagen der Behörden mittlerweile einem Fatalismus gewichen. Trotz der Misserfolge aber versuchte ich es weiter und schrieb in den Tagen kurz vor Ostern unter anderem dreimal das Büro des NRW- Ministerpräsidenten Armin Laschet an. Auch an die Pressestelle der Bezirksregierung Köln wandte ich mich, in der Hoffnung, dass man dort einem Kollegen auch kollegial und zumindest mit einer klaren Information weiterhelfen würde. Stattdessen aber wurde ich auch hier lediglich vertröstet und, mit heutigem Wissen muss das so deutlich gesagt werden, regelrecht belogen. Der Grund für dieses schäbige Verhalten offenbarte sich schließlich am 9. April. Wegen mutmaßlich betrügerischer Internetseiten wurde an diesem Tag die Auszahlungen der Corona-Hilfen zumindest vorläufig gestoppt. Niemand kann mir erzählen, dass es sich bei diesem Stopp um eine Hauruck-Aktion handelte, die den Verantwortlichen erst an diesem Morgen eingefallen war. Tatsächlich dürfte diese Absicht und das damit verbundene Procedere allen beteiligten Behörden wohl schon seit Tagen bekannt gewesen sein – was einmal mehr als Beweis taugt, dass 4.000 Menschen (diese Zahl nennen die Behörden selbst) über Tage belogen worden waren.

 

Wie denken Sie über das Vorgehen von Politik und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen und haben Sie Verständnis für den Stopp der Sofort-Hilfe?

 

KÖTTER: Selbstverständlich habe ich Verständnis dafür, dass man angesichts der offensichtlich zum Teil sehr gut organisierten kriminellen Machenschaften nicht einfach wegschauen konnte, sondern etwas unternehmen musste. Kein Verständnis dagegen habe ich für das vorhersehbare, aber nicht verhinderte technische Desaster in den Tagen vom 27. bis etwa zum 30. März – Stichwort Server-Kapazität – und noch weniger für die Hinhaltetaktik und die Lügen, mit denen man versucht hat, verzweifelte Menschen, die um ihre Existenz bangten und noch bangen, ruhig zu stellen. Wie mit diesen Menschen in diesen Tagen unmittelbar vor Ostern umgegangen wurde, das spricht einfach nur für ein schäbiges Verhalten.

 

Wie stellt sich Ihre aktuelle Situation dar?

 

KÖTTER: Ich habe seit Anfang März so gut wie überhaupt keine Aufträge erhalten und habe damit auch keine Einnahmen. Seit dem 27. März warte ich auf die vom Wirtschaftsministerium NRW gepriesene Sofort-Hilfe. Mehr muss ich dazu wohl kaum sagen.

 

Was passiert, wenn die Hilfe nicht oder zu spät kommt?

 

KÖTTER: Gute Frage, umso mehr, als ein Ende der Situation ja nicht abzusehen ist. In wenigen Tagen tritt nun der Fall ein, dass ich von meinem Überziehungskredit leben muss, der glücklicherweise recht komfortabel, aber auch teuer ist. Irgendwo tief im Inneren hoffe ich wohl immer noch darauf, dass das die NRW-Regierung ihr Versprechen „Wer eine Bewilligung hat, der bekommt auch Geld“ hält. Die meiste Zeit aber befürchte ich, dass man viele der 4.000 Betroffenen im Regen stehen lassen und schulterzuckend zuschauen wird, wie sie ihre Existenz verlieren. Die für dieses Desaster Verantwortlichen sollten hoffen, dass nicht allzu viele dieser Menschen Kleists „Michael Kohlhaas“ gelesen haben. mei

 

Hinweis: Der Sportjournalist, Andreas Kötter, berichtet in dem aktuellen Buch "Wirtschaftsmacht Fußball" (Carl Hanser Verlag, München April 2020) über die besondere Beziehung zwischen Fußball und Medien.

 

https://www.amazon.de/Wirtschaftsmacht-Fußball-Hintergründe-Visionen-Milliardengeschäfts/dp/3446463437/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=ÅMÅŽÕÑ&dchild=1&keywords=Wirtschaftsmacht+fußball&qid=1587127455&sr=8-1

 

English version

 

"Fast and unbureaucratic" was to be the state Corona emergency aid, but in many places the aid turns out to be a long and tough undertaking.

 

Mr. Koetter, what was your professional situation when the corona crisis began?

 

ANDREAS KOETTER: I have been working as a freelance journalist for 26 years, in the past few years for various clients, mainly in the German Bundesliga. I also write about cars, motorcycles and pop culture for some smaller publishing houses.

 

What income did you lose during the crisis?

 

KOETTER: Most of my income is generated from interviews with the protagonists of the German Soccer League. Without the match and because players and responsible persons had muzzled each other in the first weeks of the crisis, this income completely broke away from me. In addition, the smaller publishers mentioned above stopped agreed projects at least temporarily, since they also lost regular income, for example from advertising.

 

When did you apply for emergency aid?

 

KOETTER: On 27 March I submitted the application, and on 28 March I received an e-mail about the approval of 9,000 euros for the next three months. 

 

The immediate aid was to be fast and unbureaucratic. What is the reality in your case?

 

KÖTTER: Like about 4,000 other affected people, I have not received any money to date. And I am not the only one who feels that the responsible persons in NRW, according to the Ministry of Economics and the district governments responsible for disbursement, are even boasting about their "immediate help".

 

In your opinion, what are the reasons why you have not received any money so far?

 

KOETTER: The application was possible from March 27th, about 4 p.m. That there would be an enormous rush was foreseeable, but was obviously not considered by those responsible. The consequence was that the server was completely overloaded, so that one had to start again and again to upload the form. The consequences were a complete mess. I know from my colleagues and acquaintances that many have received several authorisations for one and the same application, in one case there were even nine authorisations. I too received two authorisations. The reason for this is that the server sometimes created so-called duplicates on its own. However, since the authorities pointed out that double or multiple payments were not technically possible, I initially decided to

no bigger thoughts.

 

What happened next?

 

KOETTER: In the days that followed, I read and heard from an increasing number of applicants, including some I knew, who had applied for a loan at the beginning of April and had the money in their accounts within 48 hours. And I was not alone in this scepticism. On the Facebook page of the NRW Ministry of Economic Affairs there were hundreds of contributions from people who were also affected and who were getting more and more desperate from day to day. No one page provided any valid information. Neither the Ministry of Economic Affairs nor the district governments responded to the numerous inquiries with meaningful answers. Instead, from the Easter week at the latest, they were only put off with standardised sentences such as "Have a little more patience and stay healthy". A few days later, even these answers were still not forthcoming, and the connections to the respective hotlines were no longer available.

 

What did you do?

 

KOETTER: I tried in various ways to gather information, or at least to get a sense of desperation from those responsible. For many, the initial anger about the failure of the authorities had meanwhile given way to fatalism. But despite the failures

I tried it further and wrote to the office of the NRW Prime Minister Armin Laschet three times in the days shortly before Easter. I also contacted the press office of the district government of Cologne, in the hope that a colleague could be approached collegially and at least with a clear

information would help. Instead, however, here too I was merely put off and, with today's knowledge it must be said so clearly, I was downright lied to. The reason for this shabby behaviour was finally revealed on 9 April. Because of presumably fraudulent Internet sites, the payments of the Corona aid were stopped on that day. No one can tell me that this stop was a jerking off action that only occurred to those responsible this morning. In fact, this intention and the associated procedure must have been known to all the authorities involved for days - which is once again proof that 4,000 people (this is the number the authorities themselves state) had been lied to over days.

 

What do you think about the actions of politics and administration in North Rhine-Westphalia and do you understand why the immediate aid was stopped?

 

KOETTER: Of course I understand that in view of the obviously partly very well organized criminal machinations one could not simply look away, but had to do something. I have no understanding for the foreseeable, but not prevented technical disaster in the days from March 27th to 30th - keyword server-

Capacity - and even less for the stalling tactics and lies used to try to silence desperate people who feared and still fear for their existence. The way in which these people were treated in those days just before Easter simply speaks of shabby behaviour.

 

What is your current situation?

 

KOETTER: I've had virtually no business since early March, and I've had no income. Since March 27th I have been waiting for the immediate help, which is oh so praised by the Ministry of Economic Affairs NRW. I don't have to say any more about it.

 

What happens if the help does not come or comes too late?

 

KOETTER: Good question, all the more so since an end to the situation is not foreseeable. In a few days I will have to live on my overdraft, which fortunately is quite comfortable but also expensive. Somewhere deep inside, I still hope that the NRW government will keep its promise "If you have a permit, you get money". Most of the time, however, I fear that many of the 4,000 people affected will be left standing in the rain and shrugging their shoulders as they lose their livelihood. Those responsible for this disaster should hope that not too many of these people have read Kleist's "Michael Kohlhaas". mei

 

Note: The sports journalist, Andreas Koetter, reports in the current book "Wirtschaftsmacht Fußball" (Carl Hanser Verlag, Munich April 2020) on the special relationship between football and the media.