Sigmar Gabriel: "Die Corona-Krise wirkt wie ein Brandbeschleuniger"

"Alles andere hätte in unverantwortlicher Weise Leben zusätzlich gefährdet." Gabriel warnte zugleich: "Eine dauerhafte Schädigung des Wirtschaftssystems gefährdet die Kranken von morgen, denn ein gutes Gesundheitssystem kostet Geld, dass wir mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit immer wieder neu verdienen müssen." Die Öffnung der Gesellschaft werde deshalb sicher jetzt Schritt für Schritt kommen, sagte er im Video-Call des DUB Unternehmer-Magazins.

 

"Alles, was gesundheitlich schiefgeht, hat hinterher ökonomische Folgen. Alles was ökonomisch schiefgeht, hat hinterher gesundheitliche Folgen." Laut Gabriel, könne es nicht funktionieren, eine gefährdete Gruppe gegen eine andere gefährdete Gruppe auszuspielen. Gabriel warnt: "Wir müssen aufpassen, dass unser ökonomisches Geschäftsmodell nicht auf den Kopf gestellt wird." Denn die Wertschöpfung ginge weg vom Produkt hin zu Datenplattformen. Und die würden amerikanische und chinesische Firmen beherrschen - nicht europäische.

 

Gewinner der Krise ist die Digitalisierung

 

Gewinner dieser Krise ist laut Gabriel die Digitalisierung mit ihrem Boost digitaler Techniken, der Künstlichen Intelligenz, den aktuellen Erfolgsgeschichten digitaler Unternehmen. Aber gleichzeitig warnt er davor, dass Deutschland und Europa in eine strategische Rivalität zwischen USA und China geraten. Europa sei digital abgeschlagen zwischen China und den USA. Eine europäische Initiative wäre hier ein großer Schritt nach vorne. 

 

Mit Steuersenkungen die Kaufkraft erhöhen

 

Gabriel äußerte Verständnis für Vorschläge, jetzt mit Steuersenkungen die Kaufkraft der Menschen zu erhöhen, um sie zurück in den Konsum zu bringen und damit die Wirtschaft zu stabilisieren. Das Problem solcher Maßnahmen sei allerdings, dass sie später nach einer wirtschaftlichen Erholung nur schwer zurück zu nehmen wären. Dies könne aber dann zu entsprechend dauerhaft höheren Schulden führen, "was ganz sicher auch niemand" wolle. Entsprechend hält er es auch für richtig, dass jetzt die Renten wie in der Rentenformel vorgesehen, auch zu erhöhen.

 

Die Binnennachfrage fördern

 

"Alles, was der Binnennachfrage dient, wird uns jetzt helfen, aus der Krise herauszukommen." Um Kleinstunternehmer schnell wieder auf die Beine zu bringen, befürwortet Gabriel die Idee, sie - je nach Größe - auch nach der Krise für drei, sechs oder neun Monate von Steuerpflichten zu befreien, um ihre wirtschaftliche Lage schnell zu stabilisieren. Zudem befürwortet er, die Senkung der Mehrwertsteuer fürs Gaststätten- und Hotelgewerbe. Denn dieses ist seiner Meinung nach am härtesten von der Krise betroffen. Was den Fußball angeht, ist Werder-Bremen-Mitglied Gabriel dafür, dass, solange genug Test-Kits da seien, die Bundesliga ihren Betrieb mit Geisterspielen wiederaufnimmt und die Clubs wie mittelständische Unternehmen behandelt würden: "Ich kann das wirtschaftliche Interesse der Unternehmen, die Fußball betreiben, verstehen." 

 

Lufthansa müsse entscheiden, was sie wolle

 

Auch zu einer möglichen geordneten Insolvenz der Lufthansa hat Gabriel sich positioniert. Die Lufthansa müsse selbst entscheiden, was sie wolle. Sollte es aber eine Staatsbeteiligung geben, fordert Gabriel von der Politik, Verantwortung in Form von Aufsichtsratsmandaten zu übernehmen. Sich allerdings in die Geschäftspolitik einzumischen, davon hält er nichts. Die Lufthansa dürfe "keine Spielwiese für Politiker werden." Insgesamt warnt Gabriel davor, große Unternehmen gegen kleine auszuspielen. Die Wahrheit sei: "Ohne die großen Unternehmen gibt es die kleinen auch nicht." 

 

Keine Dividenden und Boni ausschütten

 

Außerdem Gabriels Meinung zur Abwrackprämie: Die unterstützt er nicht, solange Dividenden und Boni ausgeschüttet werden - das sei der Bevölkerung nicht zu erklären. DUB-Call-Teilnehmer, die auf ein Recht auf Heimarbeit hoffen, bekamen zumindest von Gabriel eine Absage: Davon hält er nichts. Das müsse jedes Unternehmen mit seinen Arbeitnehmervertretern selbst entscheiden dürfen. Damit stellt er sich klar gegen seinen Parteikollegen, den Arbeitsminister Hubertus Heil, der die gesetzliche Verankerung eines Rechts auf Homeoffice vorantreiben möchte. 

 

Corona ist ein Verstärker der Krise

 

Im internationalen Kontext warnt Gabriel vor der Wirkung von Corona als Verstärker von Krisen, die auch vorher schon da waren: "Die Krise wirkt wie ein Brandbeschleuniger für all das, was auch vorher schon nicht in Ordnung war." Er berichtet von Machtmissbrauch in Libyen und der möglichen Zerstörung von Demokratien in Lateinamerika durch einen Rückfall in Armut. pm, ots

 

English version

 

Sigmar Gabriel (SPD), former Vice-Chancellor, Chairman of the SPD and now a member of the Supervisory Board of Deutsche Bank, defended the decisions taken so far by politicians to contain the corona pandemic. "Anything else would have irresponsibly endangered lives." Gabriel warned at the same time: "Permanent damage to the economic system endangers the sick of tomorrow, because a good health system costs money that we have to earn again and again with our economic performance". The opening of society will therefore certainly come step by step, he said in the video call of the DUB Unternehmer magazine.

 

"Everything that goes wrong with health has economic consequences afterwards. "Everything that goes wrong economically has consequences for your health." According to Gabriel, it can't work to pit one vulnerable group against another vulnerable group. Gabriel warns: "We must be careful not to turn our economic business model upside down." ...because value creation is moving away from product to data platforms. And that would be dominated by American and Chinese companies, not European ones.

 

The winner of the crisis is digitalization

 

According to Gabriel, the winner of this crisis is digitalization with its boost of digital technologies, artificial intelligence, the current success stories of digital companies. But at the same time, he warns that Germany and Europe will get into a strategic rivalry between the USA and China. Europe is digitally lagging behind China and the USA. A European initiative would be a big step forward here. 

 

Increasing purchasing power through tax cuts

 

Gabriel expressed understanding for proposals to increase people's purchasing power now with tax cuts in order to bring them back into consumption and thus stabilize the economy. The problem with such measures, however, was that they would be difficult to take back later after an economic recovery. But this could then lead to correspondingly higher debt over the long term, "which is something that certainly nobody wants". Accordingly, he also considers it right that pensions should now be increased as provided for in the pension formula.

 

Boost domestic demand

 

"Anything that serves domestic demand will now help us get out of the crisis." To get microentrepreneurs back on their feet quickly, Gabriel supports the idea of exempting them from tax obligations for three, six or nine months - depending on their size - even after the crisis, in order to quickly stabilize their economic situation. He is also in favour of reducing the value-added tax for the restaurant and hotel industry. This is because, in his opinion, this sector has been hit hardest by the crisis. As far as football is concerned, Werder-Bremen member Gabriel is in favour of the Bundesliga resuming operations with ghost games as long as there are enough test kits available, and treating the clubs like medium-sized companies: "I can understand the economic interest of the companies that run football. 

 

Lufthansa has to decide what it wants

 

Gabriel has also positioned itself with regard to a possible orderly insolvency of Lufthansa. Lufthansa would have to decide for itself what it wanted. But if there were to be a state participation, Gabriel demands that politicians take responsibility in the form of supervisory board seats. However, he does not believe in interfering in business policy. Lufthansa should "not become a playground for politicians." Overall, Gabriel warns against playing off large companies against small ones. The truth is: "Without the big companies, there are no small ones either." 

 

No dividends and bonuses

 

Gabriel's opinion on the car scrappage scheme: he does not support it as long as dividends and bonuses are paid out - this cannot be explained to the population. DUB-Call participants hoping for the right to work at home were at least rejected by Gabriel: He does not think much of that. He said that every company must be allowed to decide that for itself with its employee representatives. With this he clearly opposes his party colleague, the Minister of Labour Hubertus Heil, who wants to promote the legal anchoring of a right to a home office. 

 

Corona is an amplifier of the crisis

 

In the international context, Gabriel warns against the effect of Corona as a reinforcer of crises that were already there before: "The crisis acts as an accelerant for everything that was also out of order before. He reports abuse of power in Libya and the possible destruction of democracies in Latin America through a relapse into poverty. pm, ots, mei