Es geht um Geld. Viel Geld: Der internationale Währungsfonds (IMF) schätzt die wirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie auf 375 Milliarden Dollar im Monat. Eine wirksame und sichere Vakzine hätte demnach auch die Wirkung einer gigantischen Konjunkturspritze.
Im Rennen um den Impfstoff mit dem höchsten wirtschaftlichen Nutzen in der Geschichte der Menschheit dürfte sie ganz oben mitspielen. Aber noch muss die Vakzine entwickelt werden. Und dann in schnellem Tempo in großen Mengen hergestellt werden. Nur um das einzuordnen: Momentan gibt es für die klassischen Grippeimpfstoffe eine globale Produktionskapazität für eine halbe Milliarde Dosen. Wahrscheinlich bräuchte man aber das zwanzigfache davon. Das schreiben Professor Dieter Cassel (Uni Duisburg-Essen), Professor Volker Ulrich (Uni Bayreuth) und die beiden in der pharmazeutischen Industrie beschäftigten Gesundheitsökonomen Dr. Andreas Heigl und Dr. Andreas Jäcker in dem Artikel "Impfstoff für alle - wie soll das gehen?". Er ist in der Zeitschrift "RPG Recht und Politik im Gesundheitswesen" erschienen.
"Bottlenecks" in der Impfstoffversorgung gegen SARS-CoV-2
Aber das sind bei weitem nicht alle "Bottlenecks". Die bestehende Versorgunginfrastruktur ist naturgemäß für solche Mengen nicht ausgerüstet. Es dürfte an Transport- und Kühlkapazitäten fehlen bis hin zu der Frage: Gibt es eigentlich genug Ärztinnen und Ärzte, die zum Impfen zur Verfügung stehen? In einem Thesenpapier geht Professor Matthias Schrappe, Uni Köln, davon aus, dass es rund tausend Arbeitstage, sprich ca. vier Jahre, dauern würde, rund 60 Millionen Menschen in Deutschland zu impfen - und das auch nur, wenn pro Tag 60.000 Impfungen verabreicht würden. Deshalb, so Ulrich, müssten im deutschen Gesundheitswesen schon jetzt alle Anstrengungen dafür unternommen werden, diese "Tageskapazität" deutlich zu steigern.
Großer Run auf ein knappes Gut
Ein großer Run auf ein sehr knappes Gut: Der Ökonom nennt das einen "Nachfrageüberhang". "Es ist abzusehen, dass die verfügbaren Impfstoffdosen global gesehen für geraume Zeit nicht zur Durchimpfung ausreichen", sagt Ulrich. "Und es ist zu befürchten, dass es international zu einem unfairen Wettrennen, wenn nicht sogar zu einem Verteilungskampf kommen könnte." Ulrich könnte sich deshalb vorstellen, dass supranationale Institutionen wie die Vereinten Nationen, die Weltgesundheitsorganisation sowie Organisationen wie die Impfallianz GAVI, ggf. flankiert von einem "Corona-Ethikrat", die globale Verteilung der Impfstoffe regeln. Und zwar, so Ulrich, "nach epidemiologisch abschätzbarem Bedarf oder globaler Systemrelevanz, aber eben nicht nach Staats- oder Unionsgrenzen."
Europa will ein Kunststück vollbringen
Eine sinnvolle Idee, die aber wohl wenig Chancen auf Realisierbarkeit hat. Dazu muss man gar nicht über den großen Teich schauen, wo "Was-auch-immer-First"-Politiken in Mode sind. "Auch Europa versucht in dieser Situation das Kunststück zu vollbringen, sich einerseits über Vorkaufsrechte bei Pharmakonzernen selbst abzusichern und andererseits an die globale Solidarität zu appellieren", so der Gesundheitsökonom.
Die Impfkaskade: Verteilung von COVID-19-Impfstoffen in Deutschland
Zu wenig Impfstoffe für zu viele Menschen - was bedeutet das für Deutschland? Auch dieser Frage gehen die Autoren nach. Zwar gibt es das Fell, was verteilt werden soll, noch nicht. Aber es macht angesichts der Herausforderungen Sinn, sich Gedanken zu machen, wie mögliche Impfstoffe sinnvoll verteilt werden können. Das Autorenteam hat deshalb eine "Impfkaskade" entwickelt. Sie müsste vor Zulassung des ersten Impfstoffes in Form einer "COVID-19-Impfstoffverordnung" vom Bund erlassen werden.
Die Impfstoffkaskade arbeitet mit drei Stufen
- In der Stufe I (Priorisierung mit Impfpflicht des medizinischen Personals) wird ein Worst-Case-Szenario angenommen: Deutschland verfügt nur über ein geringes Kontingent an Dosen. In dieser Phase sollten selbständige und abhängige Erwerbspersonen höchste Priorität haben, die zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung unabdingbar sind (Gruppe A). Sie sollten bis zum Ende der Pandemie impfpflichtig sein. Dies ist aber nicht gleichzusetzen mit einem Impfzwang. Wer die Impfung verweigert, darf allerdings temporär nicht mehr patientennah tätig sein und übernimmt stattdessen nicht priorisierte Aufgaben im Gesundheitswesen.
- In Stufe II (Priorisierung nicht impfpflichtiger Personen) wird von einer fortschreitenden Durchimpfung von Gruppe A ausgegangen. Nun könnten in einer Gruppe B diejenigen geimpft werden, die im Falle einer Infektion besonderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind: z.B. Hochbetagte, Pflegebedürftige und Behinderte, Diabetiker oder Menschen mit risikorelevanten Vorerkrankungen. Als Gruppe C sehen die Autoren Menschen, bei denen es nicht in erster Linie um den Selbstschutz der Impflinge geht, sondern darum, das Risiko für Dritte zu verringern; etwa Eltern, Kranke pflegende Angehörige oder Erzieher: "Sie besonders zu schützen, ist nicht nur ethisch geboten, sondern aus Gründen der Aufrechterhaltung unseres ökonomischen, sozialen und politischen Systems", heißt es in dem RPG-Artikel. Gruppe B und C sollten über die Impfung selbst entscheiden können und mit einem "Impfpass" zur Freistellung von mobilitätsbeschränkenden Maßnahmen belohnt werden.
- Und schließlich Stufe III (COVID-19-Impfungen in der Regelversorgung): Sie sieht die Impfung des bisher nicht geschützten Teils der Bevölkerung vor (Gruppe D). Sollte es hier immer noch einen Nachfrageüberhang geben, schlägt das Autorenteam das Führen elektronischer Wartelisten der Gesundheitsämter vor. Auch hier soll die Impfentscheidung freiwillig sein.
Das Management der Impfung ist mit vielen Fragezeichen versehen: Wie hoch ist die Herdenimmunität; sprich: wie viele müssten eigentlich geimpft werden und wie oft, bis die Pandemie wirklich wirksam bekämpft ist? Wie schnell gelingt es, ein flächendeckendes System an Impfstationen aufzubauen? Wie viele Menschen wollen überhaupt geimpft werden? Wie wirksam ist der neue Impfstoff? Nur eines ist sicher: Es muss schnell gehen, wenn die lang ersehnten Impfstoffe zur Verfügung stehen.
Impfstoffverordnung schnell umsetzen
Angesichts der Größe der Aufgabe macht es Sinn, die von den Autoren angeregte "COVID-19-Impfstoffverordnung" schnell umzusetzen, um dann die Weichen für ein transparentes Impfstoff-Management legen zu können. Denn nur "eine rationale, ökonomisch wie ethisch vertretbare Impfstoffverteilung könnte dazu beitragen, diese Zwangslage ohne Spaltung der Gesellschaft zu überstehen", so Ulrich.
Entwicklung von Corona-Impfstoffen: Hohes wirtschaftliches Risiko
Noch liegt der Ball aber in den Laboren der wissenschaftlichen Institute, Pharma- und Biotechnologieunternehmen in der ganzen Welt. Sie gehen ein hohes wirtschaftliches Risiko ein, denn die Entwicklung neuer Vakzine "ist teuer, langwierig und begleitet von einem hohen Risiko des Scheiterns", erklärt Prof. Ulrich. Beim HI-Virus etwa versucht man es seit mehr als zwanzig Jahren. "Der Rekord für die schnellste Entwicklung eines Impfstoffes hält der gegen Mumps mit vier Jahren Entwicklungszeit."
In der Krise sind Impfstoffe öffentliches Gut
Wer Pandemieimpfstoffe entwickelt, muss sich noch vor Zulassung Gedanken machen, wie er schnell möglichst viel herstellen kann und entsprechend investieren - ein zusätzliches wirtschaftliches Risiko. Ulrich begleitet deshalb mit Sorge Diskussionen über die Aufhebung des Patentschutzes, mit der Begründung, in Zeiten der Krise seien Impfstoffe so etwas wie ein öffentliches Gut. Wer das fordere, "der übersieht, dass sie erst entwickelt werden müssen, bevor man sie verteilen kann. Alles was Anreize zur Innovation verringert, ist in der derzeitigen Pandemie ungeeignet."
Innovationsfreudige Rahmenbedingungen schaffen
Innovationsfreundliche Rahmenbedingungen sieht er als Voraussetzungen dafür, dass pharmazeutische Unternehmen auch bei späteren Pandemien mit derselben Energie in die Entwicklung von Lösungen investieren können, wie das bei dieser der Fall ist. Anreize für Innovationen sind der Motor zur Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten. Wer will am Ende schon ohne sie dastehen?
English version
The interest in effective pandemic vaccines is not just a health issue, but has implications for the global economy. It is about money. A lot of money: The International Monetary Fund (IMF) estimates the economic damage caused by the pandemic at 375 billion dollars a month. An effective and safe vaccine would therefore also have the effect of a gigantic economic injection.
In the race for the vaccine with the highest economic benefit in the history of mankind, it would probably be right at the top. But the vaccine still has to be developed. And then be produced in large quantities at a rapid pace. Just to put that in perspective: At the moment, there is a global production capacity for half a billion doses of classic influenza vaccines. But you would probably need twenty times* that. This is what Professor Dieter Cassel (University of Duisburg-Essen), Professor Volker Ulrich (University of Bayreuth) and the two health economists Dr. Andreas Heigl and Dr. Andreas Jäcker, who work in the pharmaceutical industry, write in the article "Impfstoff für alle - wie soll das gehen? It was published in the journal "RPG Recht und Politik im Gesundheitswesen".
"Bottlenecks" in the supply of vaccines against SARS-CoV-2
But these are by far not all "bottlenecks". The existing supply infrastructure is naturally not equipped for such quantities. There is probably a lack of transport and refrigeration capacity, right up to the question: Are there actually enough doctors available for vaccination? In a thesis paper, Professor Matthias Schrappe, University of Cologne, assumes that it would take around one thousand working days, i.e. about four years, to vaccinate around 60 million people in Germany - and that would only be the case if 60,000 vaccinations were administered every day. Therefore, according to Ulrich, every effort must be made now in the German health care system to increase this "daily capacity" significantly.
Big run on a scarce commodity
A big run on a very scarce commodity: The economist calls this a "demand overhang". "It is foreseeable that the available vaccine doses globally will not be sufficient for vaccination for some time to come," says Ulrich. "And it is to be feared that an unfair race, if not even a distribution battle, could develop internationally. Ulrich could therefore imagine that supranational institutions such as the United Nations, the World Health Organization and organizations such as the GAVI Vaccine Alliance, possibly flanked by a "Corona Ethics Council", could regulate the global distribution of vaccines. According to Ulrich, this should be done "according to epidemiologically assessable needs or global systemic relevance, but not according to state or union borders.
Europe wants to accomplish a feat
A sensible idea, but one that probably has little chance of being realized. You don't even have to look across the pond to see where "whatever-first" policies are in fashion. "In this situation, Europe is also trying to do the trick of securing its own security through pre-emptive rights with pharmaceutical companies on the one hand and appealing to global solidarity on the other," says the health economist.
The vaccination cascade: Distribution of COVID-19 vaccines in Germany
Too few vaccines for too many people - what does this mean for Germany? The authors also pursue this question. The fur that is to be distributed does not yet exist. But given the challenges, it makes sense to think about how possible vaccines can be distributed sensibly. The team of authors has therefore developed a "vaccination cascade". It would have to be issued by the federal government in the form of a "COVID-19 Vaccine Ordinance" before the first vaccine is approved.
The vaccine cascade works with three stages
In stage I (prioritization with compulsory vaccination of medical staff) a worst-case scenario is assumed: Germany has only a small contingent of doses. In this stage, the self-employed and dependent working population, which are essential to maintain medical care, should be given the highest priority (Group A). They should be vaccinated until the end of the pandemic. However, this is not the same as compulsory vaccination. Those who refuse to be vaccinated, however, are temporarily not allowed to work close to patients and instead take on non-priority tasks in the health care system.
In stage II (prioritization of persons not requiring vaccination), progressive vaccination coverage of group A is assumed. Now, in a group B, those who are exposed to particular health risks in the event of an infection could be vaccinated: e.g. the very elderly, persons in need of care and disabled persons, diabetics or people with risk-relevant previous illnesses. As Group C, the authors see people who are not primarily concerned with the self-protection of the vaccinated persons, but rather with reducing the risk for third parties; for example, parents, caring relatives or educators: "Protecting them in particular is not only ethically imperative, but also for reasons of maintaining our economic, social and political system," the RPG article states. Groups B and C should be able to decide on the vaccination themselves and be rewarded with a "vaccination pass" to exempt them from measures restricting their mobility.
And finally, Stage III (COVID-19 vaccinations in mainstream care): This provides for the vaccination of the previously unprotected part of the population (Group D). If there is still an excess of demand here, the team of authors suggests maintaining electronic waiting lists of the health authorities. Here too, the decision to vaccinate should be voluntary.
The management of the vaccination is marked with many question marks: How high is herd immunity; in other words, how many should actually be vaccinated and how often until the pandemic is really effectively combated? How quickly can a nationwide system of vaccination stations be established? How many people actually want to be vaccinated? How effective is the new vaccine? Only one thing is certain: it must happen quickly when the long-awaited vaccines are available.
Implement vaccine ordinance quickly
In view of the size of the task, it makes sense to quickly implement the "COVID-19 Vaccine Regulation" suggested by the authors in order to then be able to set the course for transparent vaccine management. Because only "a rational, economically and ethically justifiable vaccine distribution could help to overcome this predicament without splitting society," says Ulrich.
Development of corona vaccines: High economic risk
But the ball is still in the laboratories of scientific institutes, pharmaceutical and biotechnology companies all over the world. They are taking a high economic risk because the development of new vaccines "is expensive, protracted and accompanied by a high risk of failure," explains Prof. Ulrich. In the case of the HI virus, for example, they have been trying for more than twenty years. "The record for the fastest development of a vaccine is held by the vaccine against mumps with a development time of four years.
Vaccines are a public good during the crisis
Anyone developing pandemic vaccines must think about how to produce as much as possible quickly before approval is granted and invest accordingly - an additional economic risk. Ulrich therefore accompanies with concern discussions about the lifting of patent protection, arguing that in times of crisis vaccines are something like a public good. Anyone who demands this, he says, "overlooks the fact that they first have to be developed before they can be distributed. Anything that reduces incentives for innovation is unsuitable in the current pandemic".
Creating an innovation-friendly environment
He sees innovation-friendly framework conditions as a prerequisite for pharmaceutical companies to be able to invest the same energy in developing solutions in the event of future pandemics as they do in this one. Incentives for innovation are the driving force behind the development of vaccines and drugs. Who wants to end up without them? pm, ots, mei