Zum 90. Geburtstag von Gorbatschow am 2.3. sagte Teltschik der "Heilbronner Stimme": "Er ist für mich ein guter Freund - und eine historische Figur, von der wir nur von Glück reden können, dass wir sie haben."
Teltschik sagte weiter: "Ich habe Michail Gorbatschow natürlich einen langen Brief zum Geburtstag geschrieben. Er hatte mir im Juni auch zu meinem 80. Geburtstag einen wunderbaren Brief mit vielen guten Wünschen geschickt. Der Kontakt zwischen uns ist nie abgerissen, auch wenn Michail inzwischen leider sehr krank ist." Die internationale Politik könne auch heute von Gorbatschow eine Menge lernen, nämlich "Verlässlichkeit, dass man zu seinem Wort steht und ihnen Taten folgen lässt, und Dialogbereitschaft".
Gipfeldiplomatie mit Amerikanern aufgenommen
Er fügte hinzu: "Als Michail Gorbatschow ins Amt kam war er sofort bereit, die Gipfeldiplomatie mit den Amerikanern wieder aufzunehmen. Im Kalten Krieg galt: Wenn die zwei Elefanten nicht miteinander kommunizieren, dann gibt es in Europa keine Bewegung. Michail hat die Fenster weit aufgestoßen und das Gespräch gesucht. Dafür sollten wir ihm zutiefst dankbar sein."
Gepanzerter Wagen von Mercedes
Teltschik erzählt im Interview auch, wie er einmal in höchster Not helfen konnte: "Michails leider inzwischen verstorbene Frau Raissa ließ mir einmal eine Nachricht zukommen, ich war inzwischen Geschäftsführer bei Bertelsmann und nicht mehr in der Politik. Jelzin hatte ihrem Mann den gepanzerten Wagen weggenommen. Sie fürchtete ein Attentat und fragte, ob ich helfen könne. Schließlich gelang es mir, über Mercedes ein gepanzertes Auto zu bekommen."
Ohne Gorbatschow Wandel im Ostblock nicht denkbar
Ohne Gorbatschow als Kremlchef sei der Wandel im Ostblock nicht denkbar gewesen, sagt Teltschik, der von 1999 bis 2008 die Münchner Sicherheitskonferenz leitete: "Wir haben seine Vorgänger ja hautnah erlebt, unter Breschnew, Andropow und Tschernenko wäre eine solche grundlegende Richtungsänderung mit Perestroika und Glasnost nicht möglich gewesen. Vor allem die Regierung Honecker tat sich allerdings schwer mit dem neuen Kurs, ohne Anstoß durch Präsident Gorbatschow wäre da gar nichts passiert."
Schauer über den Rücken gelaufen
Zum Treffen am 10. Februar 1990, an dem Kohl und Teltschik, Präsident Gorbatschow und dessen persönlicher Berater Anatolij Tschernajew sowie zwei Dolmetscher teilnahmen, sagte er: "Ich habe viel erlebt in meiner Laufbahn, aber da lief mir ein Schauer über den Rücken. Mir wurde klar: Ich erlebe gerade Weltgeschichte." Er betonte zudem: "Die Standhaftigkeit Gorbatschows hat diesen Ost-West-Konflikt beendet."
Putin hat versucht, Brücke zu schlagen
Teltschik kritisiert den Umgang mit Russland unter Wladimir Putin. Bei seiner Rede am 25. September 2001 habe Putin von allen Parteien stehende Ovationen erhalten: "Er sprach von Russland als ein freundlich europäisches Land. Er hat versucht, eine Brücke zu schlagen, es gab also durchaus eine positive Perspektive für die deutsch-russischen Beziehungen unter Putin." Leider habe sich die Distanz seither immer mehr vergrößert.
Haben wir genügend Brücken gebaut?
Teltschik weiter: "Mein Gefühl ist: Wir hätten viel mehr miteinander reden müssen, auch über gemeinsame Initiativen. Rund die Hälfte der heute lebenden Russen ist nach 1990 geboren. Es ist eine Generation, die nicht mehr indoktriniert worden ist durch Marxismus, Leninismus, Stalinismus. Aber haben wir, so wie es Kanzlerin Angela Merkel auch fragt, selbst genügend Brücken gebaut? Warum gibt es bis heute so wenig Jugend- und Kulturaustausch mit Russland?" pm, ots
English version
Mikhail Gorbachev cleared the way for German unity 30 years ago. Chancellor advisor Horst Teltschik was also present at the historic Kohl-Gorbachev meeting in Moscow on 10 February 1990. On the occasion of Gorbachev's 90th birthday on 2 March, Teltschik told the "Heilbronner Stimme": "For me, he is a good friend - and a historical figure of whom we can only speak of being lucky to have."
Teltschik went on to say, "I naturally wrote Mikhail Gorbachev a long letter on his birthday. He had also sent me a wonderful letter with many good wishes for my 80th birthday in June. The contact between us has never broken off, even though Mikhail is now unfortunately very ill." International politics could learn a lot from Gorbachev today, namely "reliability, that one stands by one's word and follows it up with deeds, and readiness for dialogue".
Summit diplomacy started with Americans
He added: "When Mikhail Gorbachev came into office, he was immediately ready to resume summit diplomacy with the Americans. During the Cold War, it was true that if the two elephants did not communicate with each other, there would be no movement in Europe. Mikhail threw the windows wide open and sought dialogue. For that we should be deeply grateful to him."
Armoured car from Mercedes
In the interview, Teltschik also tells how he was once able to help in the greatest need: "Mikhail's wife Raissa, who has unfortunately passed away in the meantime, once sent me a message; in the meantime, I was managing director at Bertelsmann and no longer in politics. Yeltsin had taken away her husband's armoured car. She feared an assassination attempt and asked if I could help. Eventually I managed to get an armoured car through Mercedes."
Change in the Eastern Bloc unthinkable without Gorbachev
Without Gorbachev as Kremlin leader, the change in the Eastern Bloc would have been inconceivable, says Teltschik, who chaired the Munich Security Conference from 1999 to 2008: "We experienced his predecessors at first hand; under Brezhnev, Andropov and Chernenko, such a fundamental change of direction with perestroika and glasnost would not have been possible. The Honecker government in particular, however, had a hard time with the new course; without impetus from President Gorbachev, nothing would have happened."
Shivers ran down the spine
Regarding the meeting on 10 February 1990, which was attended by Kohl and Teltschik, President Gorbachev and his personal adviser Anatoly Chernayev as well as two interpreters, he said: "I have experienced a lot in my career, but a shiver ran down my spine. I realised: I am experiencing world history." He also stressed, "Gorbachev's steadfastness ended this East-West conflict."
Putin has tried to build bridges
Telchik criticised the way Russia was treated under Vladimir Putin. During his speech on 25 September 2001, Putin had received a standing ovation from all parties: "He spoke of Russia as a friendly European country. He tried to build a bridge, so there was definitely a positive perspective for German-Russian relations under Putin." Unfortunately, he said, the distance has grown ever wider since.
Have we built enough bridges?
Teltschik continues: "My feeling is: we should have talked much more with each other, also about joint initiatives. About half of the Russians living today were born after 1990. It is a generation that has no longer been indoctrinated by Marxism, Leninism, Stalinism. But, as Chancellor Angela Merkel also asks, have we built enough bridges ourselves? Why is there still so little youth and cultural exchange with Russia?" pm, ots, mei