Wer in Deutschland einmal unter die Armutsgrenze rutscht, bleibt immer öfter länger arm. So beträgt der Anteil dauerhaft von Armut bedrohter Menschen an allen Armen 44 % - und ist damit mehr als doppelt so hoch wie noch 1998.
Zudem droht die Corona-Pandemie die finanzielle Situation benachteiligter Gruppen zu verschärfen: Auch wenn höhere Einkommensgruppen im ersten Lockdown häufiger Einkommenseinbußen hatten, kämpften neben Selbstständigen besonders Menschen mit niedrigen Einkommen, Geringqualifizierte und Alleinerziehende mit finanziellen Schwierigkeiten. Die Ungleichheit der Einkommen schlägt sich auch in den Einstellungen der Bevölkerung nieder. Niedrige Einkommen werden überwiegend als ungerecht bewertet. Gleichzeitig hält nur knapp jede/-r zweite Beschäftigte den eigenen Bruttolohn für gerecht.
Neuer Datenreport 2021
Diese Befunde zu den Lebensverhältnissen liefert der neue Datenreport 2021 - ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Fachleute aus amtlicher Statistik und Sozialforschung haben darin Zahlen und Fakten zu wichtigen Lebensbereichen zusammengestellt.
Mehr Menschen sind dauerhaft von Armut bedroht
2018 lebte in Deutschland fast jede/-r Sechste (15,8 %) unterhalb der Armutsrisikoschwelle. Diese lag 2018 bei 1 040 Euro monatlich für einen Ein-Personen-Haushalt. Bei einem Ein-Elternhaushalt mit einem Kind (unter 14 Jahre) bei rund 1 352 Euro. Der Anteil ist im Vergleich zum Vorjahr (17,3 %) leicht gesunken, das Armutsrisiko liegt aber deutlich über dem Niveau Ende der 1990er-Jahre (knapp 11 %). Auch verfestigen sich die Armutsrisiken. Wer einmal unter die Armutsgrenze rutscht, verbleibt immer länger in diesem Einkommensbereich: Von den Personen, die im Jahr 2018 unter die Armutsrisikoschwelle fielen, waren 88 % bereits in den vier Jahren zuvor (2014 bis 2017) zumindest einmal von Armut bedroht. Die Hälfte davon (44 %) befand sich in diesem Zeitraum 4 Jahre durchgehend in diesem niedrigen Einkommenssegment.
Zahl der Armen mehr als verdoppelt
Damit hat sich der Anteil der dauerhaft von Armut bedrohten Personen an allen Armen in den vergangenen zwanzig Jahren mehr als verdoppelt: 1998 betrug er noch 20 %. Das Risiko, in Armut zu leben, ist besonders hoch für Alleinerziehende (41 %), Menschen mit Hauptschulabschluss und ohne Berufsabschluss (35 %) und Menschen mit Migrationshintergrund (29 %).
Nur jeder Zweite findet den eigenen Bruttolohn gerecht
Das hohe Ausmaß sozialer Ungleichheit schlägt sich auch in den Einstellungen und Wahrnehmungen der Menschen nieder. Nur knapp die Hälfte der Bevölkerung sieht das eigene (Brutto-)Einkommen als gerecht an. Vor allem niedrige Einkommen werden als ungerecht wahrgenommen. Sehr hoch ist auch der Anteil derjenigen, die sich dafür aussprechen, dass sich der Staat für den Abbau von Einkommensunterschieden engagieren soll. Das befürworten in Westdeutschland mittlerweile fast drei Viertel der Menschen (2002 war es noch weniger als die Hälfte), in Ostdeutschland sind es rund 80 %.
Corona: Finanziell trifft es Geringqualifizierte, Alleinerziehende, Selbstständige und Zugewanderte
Finanzielle Auswirkungen der Corona-Pandemie
Große Unterschiede zeigen sich bei den finanziellen Auswirkungen der Corona-Pandemie. So berichteten für Ende März bis Anfang Juli 2020 17 % der an- und ungelernten Arbeiterinnen und Arbeiter und knapp 14 % der einfachen Angestellten von finanziellen Schwierigkeiten. Bei Bezieherinnen und Beziehern von Niedrigeinkommen war es fast jede/-r Fünfte. Bei den Facharbeiter-, Meister- und qualifizierten Angestelltenberufen fielen die Anteile mit rund 9 % deutlich niedriger aus. Am häufigsten waren Alleinerziehende (25 %) und Selbstständige (20 %) von finanziellen Problemen im Zuge der Pandemie betroffen. Auch Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind, berichteten mit 15 % fast doppelt so häufig von finanziellen Schwierigkeiten wie Menschen ohne Migrationshintergrund (8 %).
Ungleiche Bildungschancen - vor und nach Corona
Nach wie vor hängen in Deutschland Bildungschancen stark von der sozialen Herkunft ab. Zwei von drei Kindern an Gymnasien haben Eltern, die selbst Abitur haben. Aber nur 8 % der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben Eltern, die als höchsten Schulabschluss einen Hauptschulabschluss oder gar keinen allgemeinbildenden Schulabschluss besitzen.
In der Corona-Krise zeigt sich einmal mehr, dass auch materielle Voraussetzungen Bildungschancen beeinflussen. Augenfällig ist dies beim Zugang zu digitalen Unterrichtsformaten, für die es Computer und Tablets braucht. Familien mit höherem Einkommen besitzen im Durchschnitt mehr Endgeräte, während Familien mit niedrigen Einkommen oft nicht für jedes Kind einen Computer haben. So standen Familien mit hohem monatlichem Haushaltsnettoeinkommen (5 000 bis unter 18 000 Euro) Anfang 2020 im Durchschnitt vier PCs zur Verfügung. In der untersten Einkommensgruppe (unter 2 000 Euro) waren es durchschnittlich zwei Geräte.
Chancengleichheit und Geschlechterverhältnis
Chancengleichheit bei der Bildung betrifft auch das Geschlechterverhältnis. Frauen holen auf, sind aber an der Spitze immer noch unterrepräsentiert. In den letzten zehn Jahren ist der Anteil der Professorinnen von 18 auf 26 % gestiegen. Doch mit 21 % ist nur jede fünfte der am höchsten besoldeten Professuren (C4 und W3) mit einer Frau besetzt. Der Anteil liegt damit immer noch traditionell auf niedrigem Niveau.
Corona: Homeoffice nutzen vor allem Besserverdienende
Während bis vor einem Jahr Homeoffice ein Randphänomen war und nur 5 % überwiegend von zuhause aus gearbeitet haben, waren es während des ersten Lockdowns 23 %. Bezogen auf diejenigen, die weiterhin beschäftigt und zum Beispiel nicht in Kurzarbeit waren, lag der Homeoffice-Anteil sogar bei knapp 30 %. Einiges spricht dafür, dass Homeoffice infolge der Erfahrungen während der Corona-Krise eine neue Normalität für viele wird.
Soziale Unterschiede bei Nutzung des Homeoffice
Allerdings sind die sozialen Unterschiede bei der Nutzung von Homeoffice enorm. Das liegt daran, dass einige Berufe nicht für Homeoffice geeignet sind - anders als typische Büroberufe wie Marketing oder Finanzdienstleistungen. Besonders selten arbeiteten Menschen in Berufen im unteren Drittel der Einkommensverteilung im ersten Lockdown von zuhause aus. So betrug in rund der Hälfte dieser Berufe der Homeoffice-Anteil weniger als 6 %. Ganz anders zeigt sich das Bild bei Berufen im oberen Einkommensdrittel: Fast zwei Drittel dieser Berufsgruppen hatten einen Homeoffice-Anteil von 20 % und mehr.
Anhaltende Geschlechterungleichheit
Auch wenn Elternzeit für Väter heute recht verbreitet ist, werden noch immer 90 % der Elternzeitmonate von Müttern genommen. Zudem arbeiten viele Mütter in Teilzeit. Diese Arbeitsteilung hat Auswirkungen auf die finanzielle und berufliche Situation von Müttern. So stagniert beispielsweise das Berufsprestige und damit die Karriere von zweifachen Müttern nach ihrer Familiengründung nahezu gänzlich. Dagegen gewinnen kinderlose Frauen sowie Männer und Väter vom Berufseinstieg bis zum 45. Lebensjahr im Schnitt etwa 4 Prestigepunkte.
Frauen und Männer fallen in alte Rollenmuster zurück
Dass viele Frauen und Männer nach der Familiengründung in alte Rollenmuster zurückfallen, liegt auch an gesellschaftlichen Normen: Fast 60 % der Personen im Familienalter zwischen 24 bis 43 Jahren denken, die Gesellschaft spreche einer vollzeiterwerbstätigen Mutter mit einem zweijährigen Kind ab, eine "gute Mutter" zu sein. Demgegenüber stimmen aber nur 17 % der Befragten selbst dieser Aussage zu. Die wahrgenommene gesellschaftliche Norm bildet also möglicherweise etwas anderes ab als die tatsächlichen Einstellungen in der Gesellschaft. pm, ots
English version
Those who once slip below the poverty line in Germany increasingly remain poor for longer. Those who slip below the poverty line in Germany more and more often remain poor for longer. The proportion of people permanently at risk of poverty among all poor people is 44% - more than twice as high as in 1998.
Moreover, the Corona pandemic threatens to exacerbate the financial situation of disadvantaged groups: Although higher income groups were more likely to experience income losses in the first lockdown, people with low incomes, the low-skilled and single parents struggled particularly hard with financial difficulties, along with the self-employed. Income inequality is also reflected in the attitudes of the population. Low incomes are predominantly seen as unfair. At the same time, only just under one in two employees considers their own gross wage to be fair.
New Data Report 2021
These findings on living conditions are provided by the new Data Report 2021 - a social report for the Federal Republic of Germany. Experts from official statistics and social research have compiled facts and figures on important areas of life.
More people are permanently threatened by poverty
In 2018, almost one in six people (15.8%) in Germany lived below the poverty risk threshold. This was 1 040 euros per month for a one-person household in 2018. For a single-parent household with one child (under 14 years), it was around 1,352 euros. The proportion has fallen slightly compared to the previous year (17.3%), but the poverty risk is significantly higher than the level at the end of the 1990s (just under 11%). Poverty risks are also becoming more entrenched. Those who slip below the poverty line once remain in this income range for longer and longer: of those who fell below the poverty risk threshold in 2018, 88 % had already been at risk of poverty at least once in the previous four years (2014 to 2017). Half of them (44 %) had been in this low-income segment for 4 consecutive years during this period.
Number of poor more than doubled
This means that the proportion of people permanently at risk of poverty among all poor people has more than doubled in the past twenty years: in 1998 it was still 20%. The risk of living in poverty is particularly high for single parents (41 %), people with a lower secondary school leaving certificate and no vocational qualification (35 %) and people with a migration background (29 %).
Only every second person thinks their gross wage is fair
The high degree of social inequality is also reflected in people's attitudes and perceptions. Only just under half of the population sees their own (gross) income as fair. Low incomes in particular are perceived as unfair. The proportion of those who are in favour of the state becoming involved in reducing income disparities is also very high. In West Germany, almost three quarters of the people are in favour of this (in 2002 it was still less than half), in East Germany it is about 80 %.
Financial impact of the Corona pandemic
The financial impact of the Corona pandemic varies widely. For example, for the end of March to the beginning of July 2020, 17% of semi-skilled and unskilled workers and just under 14% of elementary employees reported financial difficulties. Among low-income earners, the figure was almost one in five. Among skilled workers, master craftsmen and qualified white-collar workers, the proportion was significantly lower at around 9 %. Single parents (25%) and the self-employed (20%) were most often affected by financial problems in the wake of the pandemic. People who immigrated to Germany also reported financial difficulties almost twice as often (15%) as people without an immigrant background (8%).
Unequal educational opportunities - before and after Corona
Educational opportunities in Germany are still strongly dependent on social background. Two out of three children at Gymnasien have parents who themselves have Abitur. But only 8% of Gymnasium pupils have parents whose highest school-leaving qualification is a Hauptschulabschluss or no general school-leaving qualification at all.
The Corona crisis shows once again that material conditions also influence educational opportunities. This is obvious when it comes to access to digital teaching formats, which require computers and tablets. Families with higher incomes own more terminals on average, while families with low incomes often do not have a computer for each child. For example, families with a high monthly household net income (5 000 to under 18 000 euros) had an average of four PCs at their disposal at the beginning of 2020. In the lowest income group (below 2 000 euros), the average was two devices.
Equal opportunities and gender ratio
Equality of opportunity in education also affects the gender ratio. Women are catching up, but are still underrepresented at the top. In the last ten years, the proportion of female professors has risen from 18 to 26 %. But at 21%, only one in five of the highest paid professorships (C4 and W3) is held by a woman. The proportion is thus still traditionally at a low level.
Corona: Home office mainly used by higher earners
While home office was a marginal phenomenon until a year ago and only 5% worked predominantly from home, during the first lockdown it was 23%. In relation to those who were still employed and, for example, not on short-time work, the home office share was even close to 30 %. There is some evidence that home office is becoming a new normality for many as a result of the experiences during the Corona crisis.
Social differences in home office use
However, social differences in the use of home office are enormous. This is because some professions are not suitable for home office - unlike typical office professions such as marketing or financial services. People in occupations in the bottom third of the income distribution were particularly rare to work from home in the first lockdown. In about half of these occupations, the home office share was less than 6 %. The picture is quite different for occupations in the upper third of the income distribution: almost two-thirds of these occupational groups had a home office share of 20 % or more.
Persistent gender inequality
Even though parental leave for fathers is quite common today, 90% of parental leave months are still taken by mothers. In addition, many mothers work part-time. This division of labour has an impact on the financial and professional situation of mothers. For example, the career prestige and thus the career of mothers of two almost completely stagnates after starting a family. In contrast, childless women as well as men and fathers gain on average about 4 prestige points from the time they start their careers until the age of 45.
Women and men fall back into old role patterns
The fact that many women and men fall back into old role patterns after starting a family is also due to social norms: Almost 60 % of people of family age between 24 and 43 think that society denies a full-time working mother with a two-year-old child to be a "good mother". In contrast, only 17% of the respondents themselves agree with this statement. The perceived social norm may therefore reflect something different than the actual attitudes in society. pm, ots, mei