Kaum eine Bundestagswahl hat so wie diese das Parteiensystem verändert und erschüttert. Die Wählerschaft hat sich weiter fragmentiert - noch nie ist es passiert, dass die stärkste Kraft gerade einmal rund ein Fünftel der Wahlberechtigten erreicht.
Von Volksparteien mag man da beim besten Willen nicht mehr sprechen; SPD und Union sind auf dem besten Wege, Klientelparteien wie etwa die FDP zu werden. Offenbar machen sie kein politisches Angebot mehr für die breite Masse. Die SPD steckt, auch wenn sie sich jetzt als Gewinnerin fühlt, noch immer tief in jenem wahlpolitischen Souterrain, in das sie nach der Schröder-Ära abgestiegen ist. Die CDU wiederum ist beim Abschied der Langzeitkanzlerin ein Scherbenhaufen - das gehört zur Bilanz jener Frau, der jetzt in höchsten Tönen nachgerufen wird.
Vertrauen in die Politik ist erschüttert
Diverse Krisen - Finanz- und Eurokrise, Flüchtlingsdebatte, Turbulenzen in der EU, Fiasko in Afghanistan, Corona-Krise, Klimawandel, ganz und gar nicht zuletzt die anhaltende soziale Spaltung - haben das Vertrauen in die Politik erschüttert und gezeigt, dass diese nur begrenzt in der Lage ist, zukunftsfähige Antworten auf existenzielle Fragen zu geben. Zukunftsfähig heißt: an die nächsten Generationen zu denken, Gerechtigkeit national und global zum entscheidenden Kriterium von Politik zu machen.
Eine Dreierkolaition ist gut möglich
Gut möglich, dass nun eine Dreierkoalition kommt - auch das ein Novum auf Bundesebene. Wobei sich hier nur nachvollzieht, was in etlichen Bundesländern längst üblich ist. Es sei denn, die SPD ließe sich auf das absurde Wagnis ein, schon wieder mit der Union zu regieren. Einen Linksrutsch stellt diese Wahl aller Zweckpropaganda zum Trotz ohnehin nicht dar. Denn an den enttäuschten Grünen ist nicht viel links, und die SPD hat sich Türen in alle Richtungen offengehalten. Die linkeste Kraft aber unter den relevanten Parteien gehört zu den Verlierern; die Linkspartei rutscht auf das schlechteste Ergebnis ihrer nunmehr rund 15-jährigen Geschichte ab und fast in Bereiche, in denen sich einst die stark ostdeutsch geprägte PDS bewegte.
Die Linke ist marginalisiert
Dass es der SPD mit einem einstigen Hartz-IV-Protagonisten an der Spitze gelingt, die Linke zu marginalisieren, stellt diese vor ernsthafte Fragen. Wenn es genügt, dass die Sozialdemokratie ein bisschen links blinkt, um die Linke an den Rand der parlamentarischen Existenz zu drängen, dann muss darüber geredet werden, welchen eigenständigen politischen Gebrauchswert diese Linke für Wähler außerhalb ihrer engsten Anhängerschaft hat. Und ob sie mehr als ein Lückenfüller neben der SPD ist.
Probleme zwischen Partei und Wählerschaft
"Aus dem Programm für die Vielen eine Bewegung der Vielen zu machen, das ist für die verbleibenden Wochen bis zur Bundestagswahl ein verdammt harter Job", hieß es in einem nd-Kommentar nach dem Linke-Wahlparteitag im Juni. Das hat sich bewahrheitet, und nun ist eine Debatte darüber fällig, was die Probleme sind in der Beziehung zwischen Partei und Wählerschaft. Denn bei fünf Prozent darf man durchaus von einer handfesten Beziehungskrise sprechen. Die Linke braucht ein reinigendes Gewitter, eine Auseinandersetzung über Inhalte, ihre Attraktivität für junge Leute und über den Umgang mit internen Differenzen. Einfache Antworten wird es dabei nicht geben. pm, ots
English version
Hardly any federal election has changed and shaken the party system as much as this one. The electorate has become even more fragmented - never before has the strongest party reached only about one fifth of the electorate.
With the best will in the world, one can no longer speak of people's parties; the SPD and the CDU/CSU are well on the way to becoming patronage parties like the FDP. Apparently, they no longer have anything to offer the broad masses. The SPD, even if it now feels like a winner, is still deep in the electoral basement to which it descended after the Schröder era. The CDU, on the other hand, is a shambles at the departure of the long-term chancellor - that is part of the balance sheet of the woman who is now being praised in the highest terms.
Confidence in politics is shaken
Various crises - the financial and euro crisis, the refugee debate, turbulence in the EU, the fiasco in Afghanistan, the Corona crisis, climate change, and last but not least the continuing social division - have shaken confidence in politics and shown that it is only capable to a limited extent of providing sustainable answers to existential questions. Sustainable means: thinking about the next generations, making justice the decisive criterion of national and global politics.
A tripartite coalition is quite possible
It is quite possible that a three-party coalition will now be formed - another first at the federal level. In this case, what has long been the norm in several federal states will be followed. Unless the SPD takes the absurd risk of governing with the CDU/CSU again. Despite all the propaganda, this election does not represent a slide to the left. For the disappointed Greens are not much to the left, and the SPD has kept its doors open in all directions. But the most left-wing force among the relevant parties is among the losers; the Left Party slips to the worst result in its now roughly 15-year history and almost into areas once occupied by the strongly East German PDS.
The Left is marginalised
The fact that the SPD, with a former Hartz IV protagonist at its head, has succeeded in marginalising the Left poses serious questions for the latter. If it is enough for social democracy to blink a little to the left to push the Left to the margins of parliamentary existence, then there is a need to talk about what independent political utility value this Left has for voters outside its closest supporters. And whether it is more than a stopgap next to the SPD.
Problems between party and electorate
"Turning the programme for the many into a movement of the many, that's one hell of a tough job for the remaining weeks until the Bundestag elections," read an nd commentary after the Left Party election conference in June. That proved to be true, and now a debate is due on what the problems are in the relationship between the party and the electorate. Because at five percent, one can certainly speak of a tangible relationship crisis. The left needs a cleansing thunderstorm, a debate about content, its attractiveness for young people and about how to deal with internal differences. There will be no easy answers. pm, ots, mei