CDU: Michael Kretschmer Kandidat für Neuanfang - Ost-West-Spaltung

Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch hält die Neuwahl der gesamten CDU-Führungsriege für sinnvoll.

 

Münch sagte der "Heilbronner Stimme": "Der Bundesvorstand setzt sich zusammen aus den Präsidiums-mitgliedern sowie weiteren vom Parteitag gewählten Mitgliedern zusammen.

Diese Entscheidung, den kompletten Bundesvorstand neu wählen zu lassen, halte ich für richtig. Sie macht auch deutlich, dass nicht nur der Parteivorsitzende und der Generalsekretär für das Wahldebakel verantwortlich sind, sondern dass die gesamte Führungsriege Verantwortung trägt. Vermutlich erhofft man sich, dass mehrere bisherige Mitglieder darauf verzichten werden, sich nochmals zur Wahl zu stellen: das heißt, man bietet den Langgedienten eine gesichtswahrende Möglichkeit zum Rückzug."

 

Union in den Grundfesten erschüttert

 

Zur Aufarbeitung des Wahlergebnisses sagte Ursula Münch weiter: "Das Wahlergebnis hat die Union in ihren Grundfesten erschüttert. Sich nur auf Personalfragen zu fokussieren, könnte zusätzlich eine zerstörerische Wirkung entfalten. Nun muss die CDU sich besinnen und für sich klären: Wofür stehen wir inhaltlich? Natürlich muss es neues Führungspersonal geben, aber es müssen auch Wahlergebnisse interpretiert und die richtigen Lehren daraus gezogen werden."

 

Parteitag ist demokratisch legitimiert

 

Zur Debatte über eine stärkere Beteiligung der Basis erklärte Münch: "Ein Parteitag ist demokratisch legitimiert, er hat seine Wurzeln in der Mitgliederschaft. Es wäre falsch, einen Parteitag als Hinterzimmer des "Establishments" zu deklarieren." Sie fügte hinzu: "Allerdings haben die letzten Parteitagsentscheidungen zu Führungsfragen nicht unbedingt die Wählerschaft begeistert. Eine Mitgliederbefragung bedeutet allerdings auch nicht, dass man den Heilsbringer oder die Heilsbringerin findet. Welche Mitglieder beteiligen sich? Haben sie die richtigen Kriterien, haben sie die besseren Kriterien als Delegierte oder als die Wählerschaft? Man kann sich auch mit Blick auf die Basis täuschen." Sie mahnt: "Eine Partei muss für sich überlegen: Was für einen Typus von Parteivorsitzenden brauchen wir eigentlich, wie viel Charisma sollte er oder sie haben, welche analytischen Gaben, welchen programmatischen Sachverstand, wie viel Verortung in west- und ostdeutschen Landesverbänden. Es muss erst über Kriterien gesprochen werden, dann über Personen."

 

Führungsrolle für Michael Kretschmer

 

Als einen möglichen Nachfolger von Armin Laschet nannte Politikwissenschaftlerin Münch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer: "Kretschmer ist die Führung der CDU zuzutrauen." Sie betonte: "Ich hatte mich schon beim letzten CDU-Parteitag gewundert, dass Kretschmer sich nicht zu Wort gemeldet hat, als es um den Parteivorsitz ging."

 

Klare Ost-West-Spaltung zu erkennen

 

Münch erklärte weiter im Interview: "Wenn ich mir das Wahlergebnis geografisch betrachte, erkenne ich eine klare Ost-West-Spaltung. Ohne die überdurchschnittlichen Ergebnisse der SPD in Mecklenburg-Vorpommern oder auch in Brandenburg wäre das Parteiensystem wohl sogar noch stärker gespalten als in den Anfangsjahren nach der deutschen Vereinigung. Das ist eine bittere Erkenntnis. Für die stark westorientierte CDU müssen auch die Erststimmenerfolge der AfD in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ein Weckruf sein. Das heißt nicht, dass der Parteichef aus dem Osten kommen muss, aber es wäre möglich, wenn die CDU noch mehr in starken Teamlösungen denken würde." Über Michael Kretschmer und die Ministerpräsidenten Daniel Günther und Tobias Hans sagte sie, dies wären "Personen, die etwas mehr als nur die alte Bundesrepublik repräsentieren würden".

 

Niedriger Frauenanteil in der CDU

 

Problematisch sei der niedrige Frauenanteil: "Man hat einfach das Problem, dass CDU und CSU nach wie vor männlich dominierte Parteien sind, die jüngere Frauen weniger ansprechen. Hinzu kommt die Schwäche in Großstädten, die Union tut sich schwer damit, potenziell interessante Frauen zu erreichen. Und es wird im neuen Parlament wahrscheinlich noch auffälliger, weil gerade SPD und Grüne jetzt mit einem starken Frauenanteil ins Parlament einziehen."

 

Ursula Münch ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München sowie Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing am Starnberger See. pm, ots

 

English version

 

Political scientist Ursula Münch considers the re-election of the entire CDU leadership to be sensible.

 

Münch told the "Heilbronner Stimme": "The Federal Executive Committee is composed of the members of the Presidium as well as other members elected by the party congress.

I think this decision to have the entire Federal Executive Committee newly elected is the right one. It also makes it clear that not only the party leader and the general secretary are responsible for the election debacle, but that the entire leadership bears responsibility. Presumably, it is hoped that several previous members will refrain from standing for election again: that is, the long-serving are offered a face-saving opportunity to retire."

 

Union shaken to its foundations

 

Ursula Münch went on to say that "the election result has shaken the Union to its foundations. Focusing only on personnel issues could have an additional destructive effect. Now the CDU must reflect and clarify for itself: What do we stand for in terms of content? Of course, there must be new leadership personnel, but election results must also be interpreted and the right lessons learned from them."

 

Party congress is democratically legitimised

 

On the debate about greater grassroots participation, Münch said, "A party congress is democratically legitimised, it has its roots in the membership. It would be wrong to declare a party congress a backroom of the 'establishment'." She added: "However, recent party congress decisions on leadership issues have not necessarily enthused the electorate. However, a membership poll also does not mean that you will find the saviour or the saviour. Which members participate? Do they have the right criteria, do they have the better criteria as delegates or as the electorate? You can also get it wrong by looking at the grassroots." She cautions, "A party has to consider for itself: What type of party leader do we actually need, how much charisma should he or she have, what analytical gifts, what programmatic expertise, how much localisation in West and East German regional associations. First we have to talk about criteria, then about people."

 

Leadership role for Michael Kretschmer

 

Political scientist Münch named Saxony's Prime Minister Michael Kretschmer as a possible successor to Armin Laschet: "Kretschmer can be trusted to lead the CDU." She stressed, "I was already surprised at the last CDU party conference that Kretschmer didn't speak up when it came to the party chair."

 

Clear East-West divide to be seen

 

Münch went on to explain in the interview, "When I look at the election results geographically, I see a clear East-West split. Without the above-average results of the SPD in Mecklenburg-Western Pomerania or also in Brandenburg, the party system would probably be even more divided than in the early years after German unification. That is a bitter realisation. For the strongly west-oriented CDU, the AfD's first-round successes in Saxony, Thuringia and Saxony-Anhalt must also be a wake-up call. That doesn't mean that the party leader has to come from the East, but it would be possible if the CDU thought even more in terms of strong team solutions." About Michael Kretschmer and the state premiers Daniel Günther and Tobias Hans, she said, these would be "persons who would represent something more than just the old Federal Republic".

 

Low proportion of women in the CDU

 

The low proportion of women is problematic, she said: "You simply have the problem that the CDU and CSU are still male-dominated parties that appeal less to younger women. In addition, there is the weakness in big cities, the Union has a hard time reaching potentially interesting women. And it will probably be even more noticeable in the new parliament, because the SPD and the Greens in particular are now entering parliament with a strong proportion of women."

 

Ursula Münch is professor of political science at the University of the Federal Armed Forces in Munich as well as director of the Academy for Political Education in Tutzing on Lake Starnberg. pm, ots, mei