Wenn Politik im starken und langsamen Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß besteht, wie der Philosoph Max Weber schon vor über 100 Jahren meinte, dann ist die im Entstehen begriffene Ampelkoalition auf dem Weg dahin, wirklich Politik zu machen.
Jedenfalls haben SPD, Grüne und FDP knapp drei Wochen nach der Bundestagswahl nun sozusagen den Mast in die Erde eingelassen, an dem bald schon die neue Regierungsampel blinken könnte. Das zwölfseitige Sondierungspapier skizziert immerhin den Weg, den das Land politisch künftig einschlagen dürfte. Dass Deutschland demnächst von einer rot-gelb-grünen Ampel regiert werden wird, ist seit gestern wahrscheinlicher geworden.
Alles über die Koalitionsverhandlungen
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Politische Lyrik gehört zum Geschäft
Dass die Runde der drei sehr unterschiedlichen Parteien nach langen diskreten Gesprächen nun mit großen Worten nur so um sich wirft, von einer Reform- und Fortschrittskoalition, diversen Verheißungen, großen Hoffnungen, Aufstiegschancen, von mehr Respekt und Zusammenhalt schwadroniert, ist geschenkt. Diese politische Lyrik gehört zum Geschäft. Bisher hat noch jede neue Regierung eine mehr oder weniger griffige Überschrift für ihre jeweilige Amtszeit gefunden, die meist bald in Vergessenheit geriet.
Nächste Woche können Koalitionsverhandlungen beginnen
Was allerdings Mut macht und dieses Mal mehr sein könnte, als nur ein wohlklingendes Motto, sind die große Ernsthaftigkeit, der vertrauensvolle Stil und der ermutigende Reformeifer, mit denen dieses politische Trio gestartet ist. Sollten die jeweiligen Parteigremien zustimmen - wovon auszugehen ist - dann könnten bereits Anfang nächster Woche die Koalitionsverhandlungen beginnen.
Wichtige Detailfragen sind noch offen
Allerdings werden auch die nicht einfach werden, weil viele wichtige Detailfragen noch offen sind. Doch zumindest könnte das langwierige Gezerre um eine - am Ende nicht zustande gekommene - Jamaika-Koalition und die schwierige Geburt einer GroKo vor vier Jahren dem Land heuer erspart bleiben. Wenn Deutschland bald eine stabile und handlungsfähige Regierung vorweisen könnte, wäre dies auch ein wichtiges Signal an die europäischen und weltweiten Partner.
Geben und Nehmen ist gefragt
Vielleicht liegt die große Chance für eine künftige Regierungs-Ampel gerade darin, dass sie Politik von ganz unterschiedlichen Ausgangspostionen heraus gestalten muss. Es ist ein Geben und Nehmen gefragt, nicht die Suche danach, wie man selbst die meisten Punkte machen oder den beziehungsweise die anderen Partner am wirkungsvollsten über den Tisch ziehen kann. Eine Ampel wird nur funktionieren, wenn jede Seite ihren Markenkern widergespiegelt sieht. Wenn etwa die Sozialdemokraten ihre sozialen Themen einbringen können - von zwölf Euro-Mindestlohn, erschwinglichen Mieten, sicheren Renten. Und wenn zugleich die Liberalen ihr finanz- und haushaltspolitisches Mantra behalten können - keine Steuererhöhungen und die bald wieder ins Werk gesetzte schwarze Null. Während es für die Grünen unerlässlich ist, dass starke Pflöcke für den Schutz des Klimas und raschere Schritte bei der Energiewende, für mehr Wind- und Solarstrom und weg von der Kohle, eingeschlagen werden.
Nicht jeder bekommt alles
Das Positionspapier der Koalitionäre atmet das Motto: Jeder bekommt etwas, was ihm besonders am Herzen liegt, aber nicht jeder bekommt alles. Grüne und SPD müssen Abschied nehmen von höheren Steuern für Vermögende, vom Tempolimit 130 auf Autobahnen oder einer Bürgerversicherung. Während die Liberalen kräftige Staatsinvestitionen gegen galoppierende Strompreise akzeptieren müssen. Noch liegt nur die Richtung vor, in welche die künftige Regierungs-Ampel blinken will. Doch bereits jetzt lassen die drei Partner die sich selbst zerfleischende und kopflose Union alt aussehen. Jamaika liegt seit gestern in noch weiterer Ferne. pm, ots
English version
If politics consists in the strong and slow drilling of hard boards with passion and a sense of proportion, as the philosopher Max Weber said more than 100 years ago, then the emerging traffic light coalition is on its way to really making politics.
In any case, barely three weeks after the Bundestag elections, the SPD, the Greens and the FDP have now put the mast in the ground, so to speak, on which the new government traffic light could soon be flashing. The twelve-page exploratory paper at least outlines the political path the country is likely to take in the future. That Germany will soon be governed by a red-yellow-green traffic light has become more likely since yesterday.
Political poetry is part of the business
The fact that the three very different parties, after long discreet talks, are now throwing around big words, ranting about a reform and progress coalition, various promises, great hopes, opportunities for advancement, more respect and cohesion, is not a big deal. This political lyricism is part of the business. So far, every new government has found a more or less catchy headline for its respective term in office, which was usually soon forgotten.
Coalition negotiations can begin next week
What is encouraging, however, and could be more than just a nice-sounding slogan this time, is the great seriousness, the trusting style and the encouraging zeal for reform with which this political trio has started. If the respective party committees agree - which is to be expected - coalition negotiations could begin as early as the beginning of next week.
Important details are still open
However, even these will not be easy, because many important details are still open. But at least the country could be spared the protracted wrangling over a Jamaica coalition - which in the end did not materialise - and the difficult birth of a grand coalition four years ago. If Germany could soon present a stable government capable of acting, this would also be an important signal to its European and global partners.
Give and take is called for
Perhaps the great opportunity for a future government coalition lies precisely in the fact that it will have to formulate policy from very different starting positions. What is needed is give and take, not a search for how one can score the most points oneself or how one can most effectively pull the other partner(s) over the coals. A traffic light will only work if each side sees its brand core reflected. If, for example, the Social Democrats can bring in their social issues - the twelve-euro minimum wage, affordable rents, secure pensions. And if, at the same time, the Liberals can keep their financial and budgetary mantra - no tax increases and the soon-to-be-restored black zero. While for the Greens it is essential that strong stakes are driven in for climate protection and faster steps in the energy transition, for more wind and solar power and away from coal.
Not everyone gets everything
The coalition's position paper breathes the motto: everyone gets something that is particularly close to their heart, but not everyone gets everything. The Greens and the SPD have to say goodbye to higher taxes for the wealthy, a 130 km/h speed limit on motorways or a citizens' insurance scheme. While the Liberals have to accept strong state investments against galloping electricity prices. As yet, only the direction in which the future government traffic lights will point is known. But already the three partners are making the self-cutting and headless CDU/CSU look old. Since yesterday, Jamaica is even further away. pm, ots, mei