"Ich habe ein anderes Deutschland erlebt, als ich es kannte." Journalist Paul Ronzheimer spürt in der ersten Folge seiner Reportage-Reihe "RONZHEIMER - Wie geht's, Deutschland?" dem
sogenannten Rechtsruck in Deutschland nach. Was veranlasst die Menschen, rechts zu wählen? Warum glauben so viele an die Versprechen der AfD? Und was bedeutet das für uns als Land und
Gesellschaft? SAT.1 zeigt die erste Ausgabe von "RONZHEIMER - Wie geht's, Deutschland?" wurde am Montag, 9. September 2024 gesendet. In einem Interview mit dem Sender SAT.1 gibt Ronzheimer seine
Eindrücke wieder.
Herr Ronzheimer, man kennt Sie als Reporter aus Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan oder der Ukraine. Warum berichten Sie jetzt aus Deutschland?
Paul Ronzheimer: Für mich war es nach so vielen Jahren der Berichterstattung aus Kriegsgebieten wahnsinnig interessant, mich tiefgehend und intensiv mit den Problemen, Diskussionen und Emotionen in Deutschland zu befassen. Das war für mich eine spannende und faszinierende Reise. Und ich habe ein anderes Deutschland erlebt, als ich es kannte.
Muss man inzwischen Kriegsreporter sein, um adäquat aus diesem Land berichten zu können, Herr Ronzheimer?
Ronzheimer: Nein, ganz sicher nicht. Auch wenn es hier immer mehr Gewalttaten gibt, muss man doch ganz klar sagen, dass das in keiner Weise vergleichbar ist mit dem, was in Kriegsgebieten passiert.
Wie würden Sie den Zustand dieses Landes aktuell beschreiben?
Ronzheimer: Ich glaube, unser Land krankt vor allem daran, dass gewisse Teile der Gesellschaft nicht mehr miteinander ins Gespräch kommen. Dass die einen die anderen pauschal als Rechtsradikale oder als "links-grün-versifft" abstempeln. Und, dass es - geprägt durch die sozialen Medien - eine wahnsinnige Aufgeladenheit und Emotionalität in den Debatten gibt. Das macht mir wirklich Sorgen.
Die erste Ausgabe von "RONZHEIMER" drehte sich um das Thema "Rechtsruck". Für Ihre Recherchen sind Sie unter anderem nach Greiz gefahren, in den Wahlkreis von AfD-Spitzenkandidat und Wahlgewinner Björn Höcke. Was haben Sie dort erlebt?
Ronzheimer: Mir war es bei dieser Reise wichtig, Leute zu treffen, die mir erklären, warum sie die AfD wählen. Viele, die ich getroffen habe, waren keine Rechtsradikale, sondern Leute, mit denen ich mich vernünftig unterhalten konnte und die mir erklärt haben, dass sie die Nase voll haben von der bestehenden Politik. Ich habe bei der Recherche aber auch Menschen getroffen, die gar nicht mehr bereit waren, zu diskutieren. Von denen wurde ich beschimpft und mir wurde mehr oder weniger verholen Gewalt angedroht. Diese Aggressivität hat mich überrascht und war in Teilen auch eine schockierende Erfahrung.
Ist der Rechtsruck denn Ihrer Einschätzung nach ein rein ostdeutsches Phänomen?
Ronzheimer: Ganz klar nein. Ich war bei meinen Recherchen auch in meiner Heimat Ostfriesland unterwegs, eine Gegend, die früher sehr geprägt war von der SPD. Der Rechtsruck zeigt sich auch hier in den Gemeinden. Mein Eindruck ist, dass der Protest gegen das, was gerade in Deutschland passiert, in Teilen so groß ist, dass auch dort die AfD gewählt wird. Was von der AfD gesagt wird, welche Akteure in dieser Partei eine Rolle spielen und auch, wie die Einschätzung des Verfassungsschutzes ist, damit beschäftigen sich viele gar nicht mehr.
In der zweiten Ausgabe Ihrer Reportage-Reihe widmen Sie sich dem Thema Migration. Viele Politiker, aber auch viele ganz normale Bürger fordern eine Verschärfung der Migrationspolitik. Können Sie diese Haltung verstehen?
Ronzheimer: Ich kann das total verstehen, denn aus meiner Sicht ist die aktuelle Migrationspolitik den Menschen nicht mehr zu erklären. Warum sind bestimmte Dinge in der Vergangenheit ausgeschlossen worden, wie zum Beispiel Abschiebungen nach Afghanistan, und jetzt funktionieren sie plötzlich doch? Interessanterweise verstehen übrigens auch viele ehemalige Flüchtlinge, die ich getroffen habe, nicht, warum straffällige Afghanen oder Syrer im Land bleiben dürfen.
Was wünschen Sie diesem Land und unserer Gesellschaft?
Ronzheimer: Ich wünsche mir, dass die Menschen sich wieder mehr zuhören, auch wenn sie völlig anderer Meinung sind. Ich wünsche mir, dass wir wieder viel mehr miteinander diskutieren und ins Gespräch kommen. Ich wünsche mir, dass Politik wieder besser erklärt wird. Und ich wünsche mir, dass diese Schreiereien, die Aggression, die Wut auf Menschen, die man gar nicht kennt, ein Ende finden. Und ich wünsche mir mehr Reflektion in Bezug auf die Inhalte und den Wahrheitsgehalt von Social Media. Das sind zu viele Wünsche, oder? pm, ots